Der Kuss des Anubis
versuchen möchte, diesen jungen Pharao besser zu begreifen, muss sich zunächst mit seinen Vorfahren beschäftigen. Eine wichtige Rolle spielt dabei sein Großvater, Amenophis III., der dem Land Wohlstand und sichere Grenzen bescherte, nicht zuletzt durch seine Politik, die Töchter fremder Fürsten als Nebenfrauen in seinen Harim aufzunehmen. Wahrscheinlich im Gefolge einer Prinzessin aus Mitanni kam Kija nach Ägypten, die eine Nebenfrau Echnatons und die Mutter von Tutanchamun wurde.
Über Tutanchamuns Vater gibt es mittlerweile eine Fülle von Publikationen und ein Ende ist noch immer nicht abzusehen. Dieses anhaltende Interesse an seiner Person ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass alle Könige dieser Dynastie über lange Zeit wie vom Erdboden verschwunden waren, weil man sie aus den Königslisten gelöscht hatte!
Heute jedoch ist der »Echnaton-Boom« enorm. Nicht nur Ägyptologen, sondern auch zahlreiche Wissenschaftler anderer Fächer haben sich mit ihm beschäftigt. Dieser Mann, der als Amenophis IV. 1352/51 v. Chr. den Thron bestieg, brach radikal mit der Tradition seiner Vorfahren, indem er den Gott Aton zunächst über all die Götter erhob, denen das Alte Ägypten seit Langem huldigte, und ihn schließlich zum einzigen Gott erklärte. Ihm zu Ehren änderte er seinen Namen und nannte sich von nun an Echnaton; in Achet-Aton, der von ihm in wenigen Jahren der Wüste abgetrotzten Stadt, wurde Aton gehuldigt. Schließlich verbot Echnaton die Verehrung der anderen Götter; wer weiterhin an ihnen festhielt und sich dabei erwischen ließ, dem drohten harte Strafen.
Die Folgen für Kemet, das Schwarze Land, wie das Alte Ägypten sich nannte, waren drastisch. Die Menschen rebellierten, die großen Tempel, ihrer bisherigen materiellen Unterstützung beraubt, verfielen. Dazu kam, dass Echnaton keine aktive Außenpolitik mehr pflegte, was die Feinde an Ägyptens Grenzen erstarken ließ und zu zahlreichen Überfällen ermutigte.
Als Pharao Echnaton 1335/34 starb, war Ägypten so schwach wie lange nicht mehr. Auch seinem rätselhaften Nachfolger Semanchkare, der ihm für nur zwei weitere
Jahre auf dem Thron nachfolgte, gelang es nicht, die alte Stärke wiederherzustellen. Manche halten ihn für einen Bruder Echnatons, andere wieder für einen Halbbruder Tutanchamuns, wieder andere neigen der Annahme zu, dass Nofretete als Pharao für diese kurze Zeit weiterregiert habe, eine These, die auch mir besonders gut gefällt. Genaueres wissen wir leider nicht - ein Satz, den wir trotz guter Quellenlage leider oftmals im Hinblick auf die Geschichte des Alten Ägyptens sagen müssen.
Echnaton und Nofretete hatten keinen männlichen Erben. Deshalb geht der Thron nach dem Tod Semanchkares - wer auch immer er gewesen sein mag - an Tutanchaton, so hieß der neunjährige Prinz damals noch. Natürlich brauchte ein Junge seines Alters Ratgeber, und es ist anzunehmen, dass sie an seiner Stelle die Regierungsgeschäfte führten. Die wichtigste Rolle dürfte dabei Eje übernommen haben, ein reifer Mann und wohl der Vater von Nofretete. Ob die Vermählung des jungen Königs mit seiner Halbschwester auch auf dessen Rat basierte, ist nicht überliefert. Aber der Pharao heiratet seine acht Jahre ältere Halbschwester kurz nach der Thronbesteigung.
Drei Jahre später wird Achet-Aton aufgegeben; die Wüste holt sich schon bald wieder zurück, was man ihr durch Bewässerung und Begrünung so mühsam abgerungen hatte. Residenzstadt wird Mennefer (Memphis) im Delta; aber auch Waset (Luxor) bekommt als Sommerresidenz erneut Bedeutung. Das Wichtigste jedoch ist die radikale Abkehr vom Aton-Glauben. Der Reichsgott Amun (und mit ihm all die anderen Götter) wird wieder eingesetzt; die Tempel erhalten neue und größere Zuwendungen. Das junge Königspaar ändert seine Namen:
aus Tutanchaton wird Tutanchamun, aus Anchesenpaaton Anchesenamun.
Nach außen hin führen die beiden eine harmonische Ehe, so die Schlussfolgerung aus den uns überlieferten Bildern und Inschriften. Allerdings darf man dabei nicht vergessen, dass dies keine Zeugnisse von Privatpersonen sind, sondern Ausdruck politischer Propaganda. Wie es wirklich zwischen dem jungen König und seiner um einiges älteren Großen Königlichen Gemahlin ausgesehen hat, wissen wir nicht. Ihre Familienplanung jedenfalls verlief nicht glücklich. Es sind keine lebenden Nachfahren überliefert; stattdessen finden sich im Grab von Tutanchamun die Mumien zweier kleiner Frühgeburten, die
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