Der Kuss des Anubis
Angst in Userkafs Augen. »Und dieser da« - sein Finger wies auf Ani -
»lügt erst recht! Ich hab ihn mit Beutegut aus dem Königsgrab …«
»Schweig!«, donnerte Eje. »Deine Schuld stinkt zum Himmel! Es gibt genügend Zeugen, die sie bestätigen werden. Dein Prozess beginnt in wenigen Tagen. Nehmt ihn fest - und die anderen Verbrecher ebenso. Jetzt aber so schnell wie möglich zu den Gräbern! Wir müssen versuchen zu retten, was noch zu retten ist.«
Kenamun war nach vorne gesprungen und hatte sich bäuchlings vor ihm auf den Boden geworfen.
»Man hat mich durch Erpressung gezwungen, Tunnel und Schächte für diese Verbrecher auszuheben, Göttervater!«, rief er. »Doch ich hab es niemals gewollt. Nehmt mich mit!«, bat er flehentlich. »Im Namen meiner Frau und meines ungeborenen Kindes, das man bedroht hat - ich werde euch zeigen, wie man schneller ans Ziel gelangt! Lasst mich auf diese Weise meine Unschuld beweisen.«
»Dann komm!«, rief Eje. »Folgt ihm!«
Schon halb im Gehen, schob er den Mann energisch nach vorne, der bislang schweigend hinter ihm gestanden hatte.
»Ich sehe dort drüben deine Tochter kauern. In ziemlich mitgenommenem Zustand, wie mir scheint. Willst du dich nicht endlich um sie kümmern, Ramose?«
Die Wunde stank erbärmlich, trotz verschwenderisch aufgetragener Duftöle und des Räucherwerks, mit dem man das Krankenzimmer immer wieder gereinigt hatte. Auch die vielen Statuen der Löwengöttin Sachmet hatten keine
Linderung gebracht. Der linke Schenkel war inzwischen nahezu doppelt so dick wie der rechte, dunkel gerötet an der Bruchstelle, während der Rest des Beins kränkliche Blässe zeigte.
Unaufhörlich war das Fieber gestiegen.
Tutanchamun lag im Delirium, seit drei Tagen unfähig zu reagieren.
»Du kannst jetzt zu ihm«, sagte Eje, als er das Klopfen an der Tür hörte. »Und sei behutsam. Es kann jeden Augenblick vorbei sein.«
Anchesenamun schob sich herein, sehr blass und schmal wie ein Mädchen, als hätte die Göttin Hathor ihren Leib niemals mit einem Kind gesegnet gehabt.
»Es war wieder ein kleines Mädchen«, flüsterte sie. »Zu klein, um schon leben zu können. Der Sunu befürchtet, ich könne keine Kinder mehr bekommen.«
»Es ist zu spät, das zu bereuen«, sagte Eje. »Leider ist es für so vieles zu spät.«
»Es gibt keine Hoffnung mehr, Großvater?«, fragte sie. »Gar keine?«
Ein rasches Kopfschütteln, zu mehr schien der alte Mann in diesem Moment nicht in der Lage zu sein.
Anchesenamun beugte sich über den Kranken.
»Ich habe dich niemals richtig gekannt«, flüsterte sie. »Du warst ein Kind, als ich dich heiraten musste, ein unreifer Knabe, als man mich zwang, meinen Namen aufzugeben. Der Mann, zu dem du inzwischen geworden bist, ist mir stets fremd geblieben. Leb wohl, mein kleiner Gemahl! Die Barke der Nacht steht für dich bereit. Ich werde dich niemals vergessen!«
Ihre Tränen netzten sein glühendes Gesicht.
»Wenn er die Augen für immer geschlossen hat, bleibe nur noch ich dir«, sagte Eje dumpf. »Der General hat Waset verlassen und wird so bald nicht zurückkehren, dafür habe ich gesorgt. Auch ich werde zurück nach Norden gehen. Der neue Pharao wird das Land von Mennefer aus regieren. So habe ich es beschlossen.«
»Du?« Ihre Augen gingen auf.
»Wer sonst? Und jetzt lass uns beide allein!«
Kaum hatte sich die Türe hinter ihr geschlossen, stieß Tutanchamun einen tiefen Seufzer aus.
Dann fiel sein Kopf zur Seite. Er atmete nicht mehr.
Eje beugte sich über ihn, schloss ihm die Lider und küsste seine Stirn.
»Ich habe dich aufgezogen und mehr geliebt als einen eigenen Sohn«, sagte er. »Wie klug du warst, wie mutig und stolz. Wie sehr du das Leben geliebt hast und was für ein großer König du hättest werden können! Deinen Tod konnte ich nicht verhindern, eines aber werde ich mit allen Mitteln zu verhindern suchen, das schwöre ich dir bei meinem Leben: Der Mann, der dich töten wollte, soll niemals die Krone Kemets tragen. So lautet mein letztes Versprechen an dich.«
Eje ging hinaus. Alle, die vor der Tür bereits seit Stunden angstvoll gewartet hatten, starrten ihn an.
»Der Falke ist zum Himmel geflogen«, sagte er. »Pharao Tutanchamun ist tot.«
EPILOG
Miu hatte sich festlich gekleidet und geschmückt wie eine Braut. Doch es war nicht ihre Hochzeit, zu der sie an diesem Frühlingstag aufbrach, sondern sie wollte zum Palast der leuchtenden Sonne . In einem Korb trug sie ihr letztes Geschenk für den
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