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Der Kuss des Anubis

Titel: Der Kuss des Anubis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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saß beim Schein einer Öllampe am Fenster.
    »Komm rein«, sagte sie, ohne sich umzudrehen, als hätte sie bereits auf sie gewartet. »Und setz dich zu mir, mein Mädchen!«
    Miu folgte der Aufforderung und ließ sich auf einem Hocker nieder. Ihre Hand suchte die der Großmutter.
    Ein tiefer Seufzer entfuhr ihr. Raias bloße Nähe erleichterte sie ein wenig.
    »Wenn du reden willst, dann nur zu«, sagte Raia nach einer Weile.
    »Ich weiß, du hörst es nicht gern, wenn ich über den Pharao spreche«, begann Miu vorsichtig. »Aber ich muss es tun.«
    »Vielleicht hätte ich mich dir gegenüber anders verhalten sollen, weniger mahnen, dafür besser zuhören. Aber ich wollte dich doch nur beschützen.« Sie drückte Mius Hand. »Was ist es, das dir so schwer auf dem Herzen liegt?«
    »Natürlich bin ich froh, dass ihm nichts passiert ist. Aber wie kann er so kaltblütig und gemein sein?« Miu verschluckte sich fast, so aufgeregt war sie auf einmal. »Einfach dabei zuzuschauen, wie zwei seiner Diener vor seinen Augen am Gift zugrunde gehen - und das auch noch unschuldig!«
    »Woher willst du das wissen? Und was hätte der Pharao schon anderes tun sollen? Den König töten zu wollen, verstößt
gegen die Göttin Maat und gegen das Gesetz, das die Harmonie in der Welt bewirkt. Wer das versucht, gehört der Totenfresserin.« Raia klang sehr ernst. »Außerdem hättest beinahe auch du von dem vergifteten Fleisch gegessen - das ist es, was mir nicht mehr aus dem Kopf gehen will!«
    »Jedenfalls will ich Tutanchamun nicht wiedersehen«, sagte Miu aufgebracht. »Ich hasse ihn für das, was er getan hat!«
    »Und jetzt willst du von mir wissen, wie man jemanden verabscheuen und gleichzeitig doch so anziehend finden kann?«, sagte Raia. »Das ist es, was dich verwirrt?«
    »Wer redet denn von ›anziehend‹ …?«
    »Ich habe dein Gesicht gesehen«, unterbrach Raia sie sanft. »Ich weiß, wie jemand aussieht, der innerlich lichterloh brennt.«
    Miu fand, dass ihre Großmutter ziemlich übertrieb.
    »Ich brenne nicht«, sagte sie. »Ich muss nur ständig an ihn denken. Ich mag sein Lächeln und seine Augen - die vor allem. Aber ich weiß bei ihm niemals, woran ich eigentlich bin. Das eine Mal fühle ich mich ihm ganz nah und dann wieder erscheint er mir unerreichbar.«
    »Tutanchamun ist unerreichbar, Miu. Er ist der Goldene auf dem Thron, König und Gott in einer Person - auch wenn es sich dabei um einen jungen Mann handelt, der dich ab und zu schmelzend anlächelt. An seiner Seite ist die Große Königliche Gemahlin, die sein Kind erwartet. Besser, du sagst dir das immer wieder vor, damit du es ja nicht vergisst.«
    Großmama nahm einen Schluck Dattelbier.
    »Ich kann sie nicht ausstehen, diese Königliche Gemahlin!« Unwillkürlich musste Miu sich schütteln. »Ihre Augen
sind wunderschön und perfekt geschminkt, aber jeder Blick aus ihnen trifft dich wie eine Pfeilspitze. Niemals im Leben will ich ihre Hofdame werden!«
    »Dieses Vorhaben scheint ja erst einmal vom Tisch zu sein«, sagte Raia. »Wenn wir Glück haben, vielleicht sogar für immer. Etwas Gutes hatte jener schreckliche Abend also zumindest!«
    »Wie kann er es nur mit ihr aushalten?«
    »Man hat sie schon vor Jahren miteinander verheiratet. Außerdem sind sie einander vielleicht ähnlicher, als du es wahrhaben möchtest. Beide tragen sie das Erbe ihres Vaters in sich. Ich denke, sie haben schwer genug daran zu tragen.«
    »Welches Verbrechen hat Echnaton eigentlich begangen?«, fragte Miu. »Alle nennen ihn den großen Ketzer. Weshalb?«
    »Er hatte eine Vision«, sagte Raia nach kurzem Zögern. »Für ihn gab es nur einen einzigen Gott - Aton, die Sonnenscheibe. Dafür hat Echnaton gelebt. Und dafür ist er auch gestorben.«
    »Aber all die anderen Götter?«, rief Miu. »Was war mit denen? Isis, Hathor, Amun, Bes, Bastet …«
    »Zuerst durften die Menschen wie bisher zu ihnen beten. Aton bekleidete lediglich den obersten Rang. Doch schließlich verkündete Echnaton, dass Aton der Einzige sei, und er verbot die anderen Götter. Ihre Priester wurden entlassen, die Tempel zerfielen, ihre Namen wurden ausgemeißelt. Und jeder, der sie weiterhin im Geheimen verehrte, wurde aufgespürt, verfolgt und hart bestraft.«
    »Jeder?«, stieß Miu hervor.
    »Jeder, den sie zu fassen bekamen«, bekräftigte Raia.

    »Woran hat man diese Leute denn erkannt?«
    »An den alten Götterstatuen zum Beispiel, die sie irgendwo versteckt hielten. Ich denke, die Menschen wollten

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