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Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)

Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)

Titel: Der Kuss des Engels: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lukas
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könne er hier jeden Augenblick um die Ecke kommen.«
    Einen Moment lang herrschte Schweigen im All. Sophie bildete sich ein, Rebecca schwer durchatmen zu hören.
    »Das … tut mir leid, Sophie«, brachte sie dann heraus. »Ich hatte gehofft, Paris würde dich ablenken. Aber ich weiß, was du meinst. Wenn ich bei unseren Eltern in Marburg bin, erwarte ich auch jedes Mal, dass er plötzlich wie immer zur Tür hereinkommt. Es dauert wohl eine Weile, bis man das kapiert.«
    Ja. Sophie nickte versonnen, obwohl Rebecca es nicht sehen konnte. »Aber … du hast keine Zweifel daran, dass er gestorben ist, oder?« Es musste bescheuert klingen, doch wenn sie jetzt nicht fragte, würde sie sich nie mehr trauen. »Als du ihn identifiziert hast, meine ich, warst du da absolut sicher, dass er es ist und nicht irgendein anderer, der ihm bloß ähnelt? Sah er aus wie immer?«
    Rebecca seufzte. »Sophie, er ist tot. Sosehr wir beide ihn auch lieber lebendig haben wollen, wir können nichts daran ändern.«
    Erneut wallte Trotz in Sophie auf. »Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
    »Weil ich dir die Details ersparen will und weil es keine Rolle spielt.«
    »Für mich spielt es eine sehr große Rolle! Ich muss es genau wissen.«
    Wieder seufzte Rebecca. »Also schön, wie du willst. Nein, er sah nicht aus wie immer, weil sich Tote nun einmal verändern. Er sah hagerer aus, seine Haut war teils gelblich, teils bläulich verfärbt, die … Nein, das reicht jetzt. Ich bin Ärztin, Sophie, ich kann so etwas einordnen, du nicht. Was mich mehr verwirrt hat, war, dass er sich wohl seit seiner Ankunft nicht mehr rasiert hatte. Aber so ein Zehntagebart verfälscht keine DNA-Tests, glaub mir.«
    Nein. Aber man kann DNA-Tests manipulieren.  

W   as Rebecca gesagt hatte, ging Sophie nicht mehr aus dem Kopf.
    »Une affaire d’amour?«, neckte Francesca sie und gab es auf, ihre Aufmerksamkeit auf den Unterricht lenken zu wollen.
    Sophie nickte, aber sie war froh, dass Monsieur Oliviers Vortrag sie davor bewahrte, etwas erklären zu müssen. Francesca hätte sie wahrscheinlich für verrückt gehalten – très romantique, mais folle. Aber ich bin nicht verrückt. Es könnte wahr sein. Rafael hatte sich immer rasiert. Und selbst wenn das allein nicht verdächtig genug war, weil ein Bart hilfreich gegen Moskitos sein mochte, blieb immer noch die Tatsache, dass Rafe Rebecca nie mit mehr als den Stoppeln einer Nacht unter die Augen gekommen war. Was kaum zählte. Sie erinnerte sich an eine Begegnung mit Jürgen, einem früheren Arbeitskollegen, den sie einige Zeit nach seinem Abschied von der Firma zufällig auf der Straße getroffen hatte. Mit Schnurrbart und Koteletten hatte sie ihn zunächst gar nicht wiedererkannt. Also veränderte ein Bart das Gesicht so sehr, dass Rebecca nicht sicher sein konnte, welchen Toten man ihr gezeigt hatte.
    Sophies Unruhe wuchs. Das war der Strohhalm, den sie ersehnt hatte. Der Vorwand, mit dem sie vor sich selbst rechtfertigen konnte, nach einem Mann zu suchen, der womöglich nur ein Phantom war.
    Doch wie sollte sie Rafael in dieser Millionenstadt wiederfinden? Er würde ihr kaum ein zweites Mal zufällig über den Weg laufen. Sollte sie etwa überall Suchfotos mit ihrer Telefonnummer aufhängen wie bei einer entlaufenen Katze? Ein Anruf der Polizei gehörte dann wahrscheinlich noch zu den harmloseren Reaktionen. Außerdem wusste sie immer noch nicht, warum er untergetaucht war. Womöglich brachte sie ihn in Gefahr, wenn sie die Aufmerksamkeit der falschen Leute auf ihn lenkte. Sie musste behutsamer vorgehen. Seiner Spur folgen. Das Schiff! Sie musste dieses Schiff finden.
    Auf der Heimfahrt wäre sie am liebsten schon an der Station Châtelet aus der Métro nach oben geeilt, um am Seineufer rund um die Pont Neuf mit der Suche zu beginnen, denn dort lagen zahlreiche Touristenschiffe und Hausboote vertäut. Doch stattdessen musste sie in Richtung Saint-Michel umsteigen, weil Madame Guimard sie erwartete. Den ganzen Weg von der Métro nach Hause fragte sie sich, wie sie der alten Dame eine Absage erteilen konnte, ohne sie zu verärgern. Es war ihr bereits aufgefallen, dass Madame Guimard selten ausging. Die vielen Treppenstufen hielten sie wohl davon ab, ihre Wohnung öfter zu verlassen, vermutete Sophie, während sie den Briefkasten leerte. Madame Guimard ließ sich sogar die Einkäufe liefern, und vielleicht vermietete sie auch das ungenutzte Zimmer nur, um ein bisschen Gesellschaft zu haben.

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