Der Kuss des Killers
gekommen war. Niemand anders, den sie kannte, hörte derart laute, derart schräge Musik. Als sie die Tür erreichte, herrschte ein solcher Krach, dass weder die Stimmkontrolle der Stereoanlage noch die einzige Person im Raum ihre gebrüllten Befehle, leiser zu machen, überhaupt vernahm.
In einem winzigen Kleid, dessen magentaroter Farbton genau zu ihren wilden Locken passte, lungerte Mavis Freestone auf dem Sofa und tat das Unmögliche. Sie schlief.
»Himmel.« Da akkustische Befehle sinnlos waren, setzte Eve ihre Trommelfelle der Gefahr des Platzens aus, indem sie die Hände von den Ohren nahm und auf diverse Knöpfe der in die Wand eingelassenen Kontrollpanele hieb. »Aus, aus, aus! «, brüllte sie erbost, schlug weiter auf die Knöpfe ein und endlich sank der Lärmpegel auf das Maß des Erträglichen herab.
Wie auf Befehl klappte Mavis die Augen auf. »Hallo, wie geht’s?«
»Was?« In dem Versuch, das schrille Klingeln aus ihren Ohren zu vertreiben, schüttelte Eve vehement den Kopf. »Was?«
»Das war eine neue Gruppe, die ich heute Morgen zum ersten Mal gehört habe. Mayhem, also Chaos. Wirklich klasse.«
»Was?«
Kichernd schwang Mavis ihren schmalen Körper vom Sofa und hüpfte durch das Zimmer in Richtung eines Schranks. »Sieht aus, als könntest du einen Drink vertragen, Dallas. Ich muss eingeschlafen ein. In den letzten Nächten war ich ziemlich lange auf. Ich wollte mit dir reden.«
»Dein Mund bewegt sich«, sagte Eve. »Könnte es sein, dass du mit mir redest?«
»So laut war es gar nicht. Hier, nimm einen Drink. Summerset hat gesagt, es wäre in Ordnung, wenn ich eine Zeit lang auf dich warte. Er hatte keine Ahnung, wann du nach Hause kommst. «
Aus Eve unerfindlichen Gründen schien der steifnackige Butler vollkommen verschossen in Mavis zu sein. »Wahrscheinlich sitzt er in seinem Zimmer und verfasst Oden auf deine hübschen Beine.«
»Eve, es ist nichts Sexuelles. Er hat mich einfach gern. Also.« Mavis stieß mit ihrer Freundin an. »Roarke ist nicht zu Hause, richtig?«
»Während du versuchst, die Hütte mit deinem Lärm zum Einsturz zu bringen?« Eve schnaubte und hob dann ihr Glas an ihren Mund. »Dreimal darfst du raten.«
»Tja, das ist gut, weil ich mit dir alleine reden wollte.«
Statt weiterzusprechen nahm sie jedoch wieder Platz und drehte wortlos ihr Glas zwischen den Händen.
»Was ist? Hast du mit Leonardo gestritten oder so?«
»Nein, nein. Mit Leonardo kann man gar nicht streiten. Dazu ist er viel zu süß. Er ist für ein paar Tage in Mailand. Irgendein Modegeschäft.«
»Warum bist du nicht mitgeflogen?« Eve ließ sich in einen Sessel sinken und legte ihre Füße in den Stiefeln auf den kostbaren Tisch.
»Ich habe meine Arbeit im Down and Dirty und ich will Crack, nachdem er die Kaution für mich bezahlt hat, nicht im Stich lassen.«
»Hmm.« Eve rollte mit ihren Schultern und begann sich zu entspannen. Mavis’ Karriere als Künstlerin – Mavis’ Talente ließen sich unter der Bezeichnung Sängerin nur schwer zusammenfassen – machte endlich Fortschritte. Sie hatte ein paar ernste Hindernisse überwinden müssen, doch nun war es geschafft. »Ich dachte, dass du deine Arbeit dort wegen des Plattenvertrags aufgegeben hast.«
»Tja, genau darum geht es. Um meinen Vertrag. Weißt du, nachdem ich herausgefunden hatte, dass Jess mich – und dich und Roarke – für seine Spielchen missbraucht hat, hätte ich wirklich nicht gedacht, dass mich die Demo-CD, die ich mit ihm aufgenommen hatte, noch irgendwie weiterbringen würde.«
»Sie war gut, Mavis; einzigartig und ungemein spritzig. Das war auch der Grund, weshalb sie bei der Plattenfirma auf Interesse gestoßen ist.«
»Tatsächlich?« Die winzige Gestalt mit dem wild zerzausten Haar sprang erneut auf die Füße. »Ich habe heute herausgefunden, dass Roarke Eigentümer der Plattenfirma ist, die mir den Vertrag angeboten hat.« Sie leerte ihr Glas und stapfte durch das Zimmer. »Ich weiß, wir beide, du und ich, sind seit einer Ewigkeit miteinander befreundet und ich weiß es zu schätzen, dass du Roarke auf die Sache angesetzt hast, aber ich habe das Gefühl, dass es nicht richtig ist. Ich bin gekommen, um mich noch einmal bei dir zu bedanken.« Sie wandte sich Eve zu und sah sie traurig an. »Und um dir zu sagen, dass ich das Angebot nicht annehmen kann.«
Eve spitzte ihre Lippen. »Mavis, ich weiß wirklich nicht, wovon du redest. Willst du mir etwa erzählen, dass Roarke, der Mann, der hier in diesem
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