Der Kuss des Killers
werden, denn es besteht die Möglichkeit, dass gleichzeitig auf einem Privatgrundstück eingebrochen worden ist. Die Leiche wurde gegen vier Uhr dreißig von Lieutenant Eve Dallas und Roarke, zwei Anwohnern, entdeckt.«
Sie drehte sich um und ging zu dem ersten Einsatzwagen, der mit quietschenden Bremsen am Straßenrand zum Stehen kam. »Ich möchte, dass die Leiche sofort mit einem Sichtschutz abgeschirmt wird. Sperren Sie die Straße im Umkreis von mindestens fünf Metern. Ich will weder Schaulustige noch irgendwelche Medienvertreter hier sehen. Verstanden?«
»Sehr wohl, Madam.« Die beiden uniformierten Beamten stiegen eilig aus dem Wagen und zerrten eine Schutzwand aus dem Kofferraum hervor.
»Ich habe hier sicher noch eine Zeit lang zu tun«, erklärte sie Roarke, nahm ihm den Recorder ab und drückte ihn einem anderen Beamten in die Hand. »Du solltest besser ins Haus gehen und den Jungen im Auge behalten.« Sie beobachtete, wie die Schutzwand aufgestellt wurde. »Er sollte seine Mutter anrufen oder so. Aber ich will nicht, dass er geht, bevor ich noch einmal mit ihm gesprochen habe.«
»Ich werde mich um ihn kümmern. Ich werde meine Termine für heute absagen und dir zur Verfügung stehen.«
»Das wäre das Beste.« Sie sehnte sich schmerzlich danach, ihn zu berühren, dann jedoch dachte sie an ihre blutverschmierten, versiegelten Hände und ließ die Arme sinken. »Es würde helfen, wenn du ihn beschäftigen würdest, damit er nicht die ganze Zeit an den Toten denkt. Verdammt, Roarke, das hier ist eine wirklich ekelhafte Geschichte.«
»Ein Ritualmord«, murmelte er und legte verständnisvoll eine Hand an ihre Wange. »Aber welche Seite hat ihn verübt?«
»Ich schätze, ich werde noch jede Menge Zeit damit verbringen, diverse Hexen zu verhören.« Sie seufzte und runzelte die Stirn, als sie Peabody zu Fuß die Straße herunterhasten sah. »Wo zum Teufel ist Ihr Auto, Officer?«
Peabodys Uniform hatte nicht das kleinste Fältchen, doch ihr Gesicht war puterrot und sie atmete keuchend aus und ein. »Ich habe kein Auto, Lieutenant. Ich nehme stets öffentliche Verkehrsmittel. Und die nächste Haltestelle ist vier Blocks von hier entfernt.« Sie bedachte Roarke mit einem bösen Blick, als trüge er persönlich die Verantwortung dafür. »Reiche Leute nehmen anscheinend nie die U-Bahn.«
»Tja, dann fordern Sie ein Fahrzeug an«, befahl Eve giftig, erklärte Roarke: »Wir kommen rein, sobald wir hier draußen fertig sind«, und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. »Die Leiche liegt hinter der Schutzwand. Nehmen Sie dem Beamten den Recorder ab, ich traue seinen Augen nicht und seine Hände zittern wie Espenlaub. Ich will, dass die Blutlache und die Wunden aus allen Winkeln genau vermessen werden und dass die Fundstelle der Leiche versiegelt wird. Ich glaube nicht, dass die Spurensicherung noch allzu viel entdecken wird, aber trotzdem soll niemand etwas anrühren. Ich werde die Überprüfung des genauen Todeszeitpunkts vorbereiten. Der Pathologe ist bereits unterwegs.«
Roarke sah ihr hinterher, als sie hinter der Schutzwand verschwand und nahm an, dass sie ihn fürs Erste nicht brauchte.
Im Haus fand er den von einem sichtbar erbosten Summerset bewachten Jamie vor. »Es ist dir nicht gestattet, einfach überall herumzulaufen«, schnauzte Summerset den armen Jungen an. »Und rühr ja nichts an. Falls du irgendwas kaputtmachst oder irgendwas beschmutzt, werde ich gewalttätig.« Jamie stapfte weiter durch das Zimmer und untersuchte ungerührt das Inventar des kleinen – und Summersets Ansicht nach weniger eleganten – Salons. »Ich zittere vor Angst. Du lehrst mich wirklich das Fürchten, Alter.«
»Dein Benehmen lässt eindeutig zu wünschen übrig«, bemerkte Roarke, als er den Raum betrat. »Jemand hätte dir beibringen sollen, dass man Erwachsenen einen gewissen Respekt entgegenbringt.«
»Und jemand hätte Ihrem Wachhund beibringen sollen, dass man Gästen gegenüber höflich ist.«
»Gäste setzen für gewöhnlich nicht die Alarmanlage außer Gefecht, klettern nicht über Mauern und schnüffeln nicht ungebeten auf fremden Grundstücken herum. Du bist also kein Gast.«
Jamie gab klein bei. Es war schwer, sich gegenüber diesen kühlen blauen Augen zu behaupten. »Ich wollte zum Lieutenant. Ich wollte nicht, dass irgendwer etwas davon erfährt.«
»Nächstes Mal solltest du es per Telefon versuchen«, schlug Roarke dem Jungen vor. »Schon gut, Summerset«, wandte er sich an seinen Butler.
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