Der Kuss des Lustdämons
ausgetauscht. Der Duft der Erinnerung haftete an jedem Grashalm. Es durfte nicht sein, dass sie diesen Ort entweihte!
Als sich die Blicke der beiden Frauen trafen, blieb Jeanine kurz stehen. Wie immer, wenn sie sich begegneten, wurde aus dem dauergrinsenden Kind eine lauernde Giftschlange. Sie versuchte alles, um Henry an sich zu binden und von seinen Freunden und Bekannten fernzuhalten. Vor allem aber vor ihr. Immerhin war Celice die Ex und immer noch eine potenzielle Gefahr. Zudem hatte es die Fotografin im Gegensatz zu ihr schon weit gebracht. Jeanine war nur das Mädchen aus dem Druck.
Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt , spukte es in Celices Gedanken. Das Miststück hatte ihn gut im Griff. Henry sah aus wie der Junge, der beim Stehlen erwischt worden war. Von dem Verführer, der ihr gerade noch den Atem geraubt hatte, war nichts mehr zu erkennen. Warum hatte er seine Augen geschlossen? Warum sagte er nichts? In einem Impuls wollte Celice Henry an der Hand packen und mit ihm weglaufen. Doch sie wusste, er würde wie angewurzelt stehenbleiben.
Ein Pochen stieg in ihre Schläfen, je näher die Andere kam. Stolz wie eine Antilope war der Gang, während ihr das Rapunzelhaar um die Schultern peitschte. Sie umschlang Henrys Brust. Ihr klirrendes Lachen übertönte das peinliche Schweigen. Henry wankte und öffnete seine Augen, in denen der Glanz der Gefühle lag, die sie beide so lange verbunden hatten. Seine Lippen formten die Worte: „Ich werde dich immer lieben.“
Selbst wenn Celice gewollt hätte, sie hätte nichts erwidern können.
„Bis dann.“ Es war, als hätte er ihr eine Ohrfeige gegeben. Betäubt starrte sie ihn an, versuchte zu verstehen, was gerade geschehen war. Was für ein Spiel trieb er mit ihr? Offensichtlich liebte er es, sie immer wieder zu demütigen. Natürlich! Es konnte nicht anders sein. In seiner Iris glomm die Sehnsucht. Doch für wen? In Celice brannten viele Fragen. Doch Henry würde sie ihr nicht beantworten. Er atmete tief durch. Aus seiner ernsten Miene wurde ein Lächeln. Seine Freundin sollte nicht erfahren, wie schwach er gewesen war.
Ein Frösteln zog über ihren Körper. Ihr Magen fühlte sich an wie ein Stein. Sie fiel ihm um den Hals. Celice meinte einen triumphierenden Blick von Jeanine zu erhaschen. Das Paar versank in einem dieser Küsse, den sogar ein Voyeur noch auf den Lippen spüren konnte. Ihre schlanken Finger krallten sich fest in seine Haare.
Vor ihrem inneren Auge sah Celice eine Knochenhand auf sich zukommen. Diese schlug tief in ihren Brustkorb und riss ihr den letzten Funken von Henry aus dem Leib. Sie hatte den Machtkampf um seine Gunst gewonnen.
Celice fuhr zu ihrer Eigentumswohnung. Entnervt drehte sie den Schlüssel im Schloss, das sich wie immer nicht öffnen lassen wollte. Ihr stieg das Hämmern zurück in die Schläfen. Die Zeitung unter ihrem Arm machte sich selbstständig und klatschte zu Boden, als Celice an dem goldenen Türknauf zerrte.
Tief durchatmen!
Entkräftet lehnte sie ihre Stirn gegen den blauen Rahmen. Noch einmal zog sie an dem Knauf und versuchte den Schlüssel zu drehen. Es klackte.
Trautes Heim, Glück allein.
Hinter der Tür gähnte ihr ein verwinkelter Flur entgegen. Rechts befand sich eine Garderobe aus Messinghaken. Links stand eine Kommode mit Schubladen, auf der sich eine rote Telefonstation mit Anrufbeantworter befand. Direkt zwischen Tür und Kommode türmte sich ein Stapel ungelesener Zeitungen auf. Celice drehte sich um, ging in die Knie und hob die Zeitschrift auf, um sie auf den Stapel zu legen. Dann bewegte sie den Fuß nach hinten und schubste die Tür an. Mitten im Flur ließ sie ihre Lederhandtasche fallen. Für heute hatte sie genug.
Im Halbdunkel war ihre Wohnung nicht mehr als ein Kasten mit einem Ecksofa aus schwarzem Kunstleder, einer Klappliege und einem uralten Fernseher. In einem der beiden weiteren Zimmer standen ein großer Arbeitstisch und ein Bürostuhl. An die Wände waren einige Magazinseiten gepinnt, sowie Fotos, die Celice für diverse Ausgaben geschossen hatte. Im letzten Zimmer mit einer orangefarbenen Blumentapete gab es nur einen klobigen Kleiderschrank. Beide schienen ein Überbleibsel aus den 50er Jahren zu sein. Celice hatte den Raum vor langer Zeit für eine besondere Fotostrecke genutzt. Die für diese Zeit typische Korsagen-Stiletto-Mode mit den schicken Cocktailkleidern, Nylons und der üppigen Sanduhr- Silhouette à la Marilyn Monroe war hier Gegenwart. Die
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