DER KUSS DES MAGIERS
kurz vor Semesterbeginn, aber du hast einen Platz. Eigentlich wollte ich das heute mit dir feiern, aber das können wir ja nachholen. Und jetzt pack deine Sachen, wir fahren nach Hause.“
Fassungslos starrte Sina ihn an. Sie konnte nicht glauben, was sie da hörte. Er dachte doch wohl nicht ernsthaft, er könnte sie derart herumkommandieren?
Blitzartig führte sie sich vor Augen, wie sie sich bisher ihm gegenüber verhalten hatte. Und Sina musste sich der Wahrheit stellen: Doch wahrscheinlich dachte er, er könnte über ihr Leben bestimmen. Bisher hatte sie sich in allem nach ihm gerichtet. Sie hatte ihm nie widersprochen und immer versucht, es ihm recht zu machen. Weil sie geglaubt hatte, sonst würde er sie verlassen. Wie ihr Vater sie verlassen hatte – weil sie damals auf der Insel irgendetwas falsch gemacht hatte.
Aber so war es nicht. Ihr Vater war gegangen, weil er sie liebte und sie beschützen wollte. Sie war nicht wertlos, niemand, den man achtlos zurückließ, wenn man ihn nicht mehr haben wollte. Sie war jemand, für den zwei Männer – ihr Vater und Les – große Opfer gebracht hatten, damit sie frei sein konnte. Frei in ihren Entscheidungen. Frei, so zu leben, wie so wollte. Frei, niemandem zu gehorchen außer sich selbst.
„Nein“, sagte Sina fest.
Völlig verblüfft starrte Lugo sie an. „Wie, nein?“
„Nein, ich werde nicht mit dir zurückfahren. Nein, ich werde nicht bei dir einziehen. Nein, ich werde nicht in Payton aufs College gehen. Und nein, ich bin nicht mehr mit dir zusammen. Und jetzt geh bitte.“
Sina sprach ganz ruhig und fühlte sich mit jedem Wort sicherer und stärker. Es war, als würde sie endlich eine Fessel abstreifen, die sie seit dem Weggang ihres Vaters klein gehalten hatte. Als würde sie zum ersten Mal überhaupt ihren Körper völlig ausfüllen und sich ihres eigenen Werts bewusst werden. Es war ein so gutes Gefühl, dass sie überhaupt nicht damit rechnete, dass Lugo wütend reagieren könnte.
Daher traf es sie völlig unvorbereitet, als er in ihre Haare griff, sie vom Bett hochriss und auf den Teppich warf.
„Was fällt dir eigentlich ein, du Schlampe?“, brüllte er. „Wie kannst du es wagen, mir zu widersprechen?“
Sina traf mit dem Rücken auf, und einen Moment lang bekam sie keine Luft. Ihre Kopfhaut brannte wie Feuer, es fühlte sich an, als hätte er die Haare büschelweise ausgerissen, doch seine Hände waren leer.
Leer und viel zu dicht vor ihr. Bevor sie ganz aufstehen konnte, schlug er ihr mit dem Handrücken hart ins Gesicht. Sina taumelte in die Ecke des Zimmers.
Lächelnd blieb Lugo vor ihr stehen, seine eisblauen Augen blitzten. „So, ich hoffe, das wäre geklärt. Und jetzt komm.“
Er umfasste ihren Oberarm so fest, dass sie unwillkürlich aufstöhnte, griff mit der anderen Hand nach der Reisetasche und zerrte Sina zur Tür. Unerklärlicherweise hatte sie keine Angst, sie war nur unglaublich wütend. Während sie tat, als gehorchte sie ihm widerstrebend, schaute sie sich im Zimmer nach irgendetwas um, womit sie sich wehren konnte. Mit bloßen Händen hatte sie gegen ihn keine Chance, das wusste sie.
Als Lugo die Tür öffnete, um Sina hinauszuschieben, stand Suss davor.
Er lächelte sein eiskaltes Zahnpastalächeln und tat, als würde ihm nichts Ungewöhnliches auffallen. Obwohl Sina ihn nicht mochte, war sie froh, ihn zu sehen.
„Miss Winter, es tut mir leid, Sie so unangemeldet zu stören, aber es hat sich eine Änderung ergeben. Zu viele Zuschauer haben ihr Geld zurückverlangt, als sie gehört haben, dass LeNormand nicht auftreten kann. Mr. Selzig hat entschieden, ihn trotz Verletzung auf die Bühne zu schicken. Somit wären auch die Vertragsbedingungen für Ihren Auftritt als Assistentin erfüllt. Der Plan ist, dass Sie Ihren Platz im Zuschauerraum nach der Pause einnehmen, wenn es nicht auffällt. Wir haben nur noch zwanzig Minuten, deshalb muss ich um Eile bitten.“
Noch immer hielt Lugo ihren nackten Arm umklammert, und die Schmerzen wurden langsam unerträglich. Sina dachte nicht lange darüber nach, ob sie Suss vertrauen konnte. Im Moment war er ihr jedenfalls tausend Mal lieber als Lugo.
Formvollendet hielt Suss ihr den Arm hin, damit sie sich bei ihm unterhakte. Lugo und seinen drohenden Gesichtsausdruck ignorierte er völlig.
„Sina wird nicht auftreten“, presste Lugo hervor. „Wir sind gerade dabei, die Stadt zu verlassen.“
Suss’ Lächeln wurde noch ein wenig breiter. „Dann haben Sie sicher den
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