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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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erneut zu kämpfen begannen. Sie verschwanden im Schatten der Felswand, der Nebel stieg noch höher, hüllte Auroras Beine ein. Doch ehe er ihre Gestalt verschluckte, löste sich das graue Knäuel in weiße Fäden auf, immer dünnere, immer durchsichtigere. Cara zog mich am Arm und deutete in die andere Richtung. Ich konnte meinen Blick kaum von Aurora lassen, doch dann drehte ich mich um.
    Oft hatte ich Sonnenaufgänge beobachtet, doch nie die Wucht erlebt, mit der dieser neue Tag die Nacht abschüttelte. Ich stand, starrte und hörte – ja, mein Kopf schien plötzlich von Musik erfüllt, keiner irdischen Musik, die von Menschen komponiert war, sondern von Musik, die so vollkommen war, dass sie himmlisch sein musste. Sehnsuchtsvoll wie die raue Panflöte klang es, als ein dünner Lichtstreif auf dem gegenüberliegenden Bergrücken höher kletterte, zaghaft noch, dann immer schneller, als er schließlich den Gipfel erreichte und – die Laute der Panflöte wurden abgelöst von den durchdringend hohen Klängen einer Piccolo – die eben noch dunklen Spitzen erglühen ließ. Die satten Töne der tieferen Bläser untermalten das Glitzern der Schneehauben, die mit ihrem reinlichen Weiß die Berge krönten. Noch höher kletterte die Sonne, begann uns zu blenden. Wie tausend Arme waren ihre Strahlen, die so lange am grauen Kleid der Nacht zerrten, bis die Berge uns gegenüber nicht länger von Schatten bedeckt waren. Die vielen einzelnen Töne in meinem Kopf vereinten sich zu einem überwältigenden Ganzen. Noch schien die Sonne vor Anstrengung zu glühen; das erste Licht, das auf den dunklen See fiel, war rötlich und ertrank in seinem Schwarz. Doch jetzt begannen die Spitzen der Bäume sich grün zu färben. In meinem Kopf war Trommelwirbel, gemäßigt und bezähmt nur von den dunklen Streichern, als die glühende Kugel endgültig das Himmelszelt erreichte. Das Gipfelkreuz auf einem der Berge wurde vom lodernden Licht vergrößert, stand nicht nur riesig, sondern so nah vor uns, als müssten wir nur die Hand ausstrecken, um es zu berühren. Aus den wilden, tosenden Tönen wurden sanftere, süßere, harmonischere, als nunmehr auch auf den Berg, auf dem wir standen, wärmende Strahlen fielen. Einzig der See blieb nackt und schwarz.
    Ich fuhr herum. Die Morgenröte liebkoste Auroras Gestalt. Ihr Haar leuchtete auf, als würde es brennen. Sobald sie das Licht spürte, hob sie die Arme und stellte sich auf ihre Zehenspitzen.
    Der Wunsch, zu ihr zu laufen und sie vom Felsvorsprung zu ziehen, war groß – doch nicht so groß wie der Drang, voller Ehrfurcht vor ihr zurückzuweichen.
    Dann verstummte die Melodie der Morgenröte, und nur noch der Klang ihrer Stimme war zu hören, fein und klar.
    »Caspar von Kranichstein!«, rief sie.
    Wieder verstummte das Klirren, doch diesmal erstarrte nur einer der Krieger. Die beiden Gestalten lösten sich aus dem Nebel, geblendet von einer Morgensonne, deren Strahlen immer wärmer und stärker wurden. Eben noch waren all ihre Bewegungen so schnell erfolgt, dass ich sie nicht erkennen konnte, jetzt lief alles langsam wie in Zeitlupe ab.
    Wieder rief Aurora Caspars Namen – und dieser trat auf sie zu, kam immer näher an den Felsvorsprung heran. Magisch angezogen von ihrem Ruf, drehte er sich kein einziges Mal um. Obwohl ich ihr Gesicht nicht sehen konnte, vermeinte ich zu spüren, wie ihre blauen Augen glühten, wie sie ihre ganze Macht über ihn ausspielten, wie sie dafür sorgten, dass er nicht länger auf Nathan achtete. Einst hatte Caspar sie hypnotisiert – nun war sie die Stärkere, vielleicht, weil ihr die Morgenröte Kraft gab, vielleicht, weil Caspar nach stundenlangem Kampf längst zermürbt war. Noch näher kam er heran, immer näher; im roten Schein konnte ich sein Gesicht erkennen, blau verschmiert vom Blut, die Haare nicht glatt, sondern zerrauft, die Augen starr und müde. Doch sein Mund lächelte, nicht spöttisch, nicht bissig, einfach nur hingebungsvoll und glücklich. Er betrat den Felsvorsprung. In seiner Hand hielt er das Schwert fest umklammert.
    Ich schrie auf: Trotz aller Macht, die Aurora über ihn hatte, war seine Waffe eine tödliche Bedrohung. Ich löste mich aus meiner Starre, stürzte auf den Felsvorsprung zu, und sobald ich mich rührte, kam auch Nathan herbeigeeilt, nicht ehrfürchtig wie Caspar, sondern blitzschnell. Ich glaubte schon zu sehen, wie er den Feind endgültig niederstreckte, doch in diesem Augenblick ließ Auroras Macht über Caspar nach. Ein

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