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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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Schreien.
    »Ich habe mich damals so oft vor unserem Vater versteckt, und meist war er es, der mich dann suchen musste … und mich bestrafen«, erwiderte sie. »Das hat mich sensibel für seine Gegenwart gemacht. Was ihn anbelangt, scheint es, als hätte ich selbst auf dem Rücken Augen. Ich spüre ihn einfach.«
    »Und nun?«, fragte ich. »Spürst du ihn jetzt?«
    »Noch nicht.«
    Ich verstummte, um meine Kräfte zu sparen, verwendete alle Konzentration darauf, nicht über die Wurzeln zu stolpern. Nicht immer knackten unsere Schritte auf dem Nadelbett, manchmal wurden sie vom samtweichen Moos gedämpft. Als wir den Wald verließen und die Wiese erreichten, wurden meine Füße nass vom Tau, der von den hohen Grashalmen tropfte.
    Es war nicht mehr ganz so dunkel. Die Luft schien kälter, schärfer und verwehte die Nacht. Einmal blieb Cara kurz stehen und lauschte.
    »Hörst du etwas?«, fragte ich atemlos. Ich selbst vernahm kein Geräusch außer dem eigenen Herzschlag, einem lauten Hämmern gleich.
    »Ich bin mir nicht sicher … «
    »Denkst du, dass sie noch immer kämpfen?«
    Ich wusste nicht, ob ich auf das vertraute Klirren der Schwerter hoffen sollte oder nicht. Es würde bedeuten, dass Nathan Caspar noch nicht überwältigt hatte, vielleicht sogar zu unterliegen drohte – aber immerhin wäre er noch am Leben, hätten wir noch die Möglichkeit, einzugreifen, wir, aber auch Aurora.
    »Weiß sie … weiß sie, dass Nathan ihr Vater ist?«, presste ich keuchend hervor. »Will sie ihm darum helfen?«
    Ich wusste, dass Aurora sämtliches Wissen über die Nephilim instinktiv erfasst und dass sie Cara und Nathan wohl als ihresgleichen erkannt hatte – nicht aber, ob sie von dem speziellen Band zwischen ihnen ahnte.
    Cara nickte. »Sie hat es gefühlt … «, bestätigte sie knapp, um mich gleich wieder zu packen, mich weiterzuzerren. Ich folgte ihr blind, verlor meine Orientierung. Wenn ich zwischendurch die Augen aufschlug, sah ich nur Grau und Schwarz, aber hatte keine Ahnung, wo die Berge aufhörten und der Himmel begann. Langsam wurde es heller. Nicht nur der Mond spendete sein fahles Licht, auch die Ränder des Himmelszeltes erglühten schwach – der schüchterne, noch halbherzige Gruß der Morgenröte.
    »Jetzt«, murmelte Cara plötzlich, »jetzt kann ich etwas hören … «
    Sie sagte nicht, was es war, beschleunigte nur ihren Schritt. Ihr Gehörsinn musste unglaublich geschärft sein, denn es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis auch ich es vernahm: das Klirren, Keuchen und Stöhnen.
    Ich versuchte vor der dunklen Felswand, die vor uns aufragte, Gestalten auszumachen, doch die Ahnung eines Morgenlichts wurde vom Nebel, der dampfend vom Boden aufstieg, verschluckt. Wie ein grauer Schleier legte er sich über den Berg. Kurz vermeinte ich eine Bewegung zu erkennen, doch sobald meine Augen einen bestimmten Punkt fixierten, konnte ich nichts mehr sehen.
    »Aurora!«, schrie ich und blickte hektisch in alle Richtungen. Überall hockte dieser graue Nebel und raubte mir die Sicht. »Aurora!«
    Meine Stimme hallte von den Felswänden wider – genauso wie das Klirren, das ohne Unterlass zu hören war.
    »Aurora!«
    Cara packte mich. »Da!«, rief sie.
    Und jetzt endlich sah ich sie – auf dem Felsvorsprung, auf dem ich vorhin gelegen hatte. Sie stand am äußersten Rand. Ihre schmale Gestalt ragte aus dem Nebel hervor. Sie hatte uns den Rücken zugedreht, so dass ich ihr Gesicht nicht sehen konnte, nur die Haare, die offen über den Rücken fielen. Sie glänzten nicht rötlich wie sonst, sondern wirkten schwarz. Ihr dünnes Kleidchen flatterte hell im Wind, aber sie schien nicht zu frieren, stand aufrecht.
    Das Klirren hörte auf, und erst jetzt, da sie innehielten, konnte ich die beiden Gestalten erkennen und voneinander unterscheiden, konnte sehen, wie sie jetzt zu Aurora herumfuhren und erstarrten.
    »Aurora!«, schrie ich wieder. Sie rührte sich nicht, zuckte nicht einmal zusammen. Während ihr der gefährlich nahe Abgrund keine Furcht zu bereiten schien, hielt ich den Atem an. Der wogende Nebel schmiegte sich zwar wie ein weiches Bett an die schroffen Felsen, aber ich wusste: Ein falscher Schritt, und sie würde in die Tiefe stürzen.
    Ich wollte zu ihr laufen und sie vom Abgrund wegzerren, doch Cara hielt mich auf. »Nein«, rief sie. »Nein, lass sie! Lass sie es tun!«
    Ich wusste nicht, was sie meinte, zumal Aurora gar nichts tat, die beiden Männer sich vielmehr wieder aus der Starre lösten und

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