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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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gewagt, sich schützend vor ihre Kinder zu stellen und sie vor der Strenge des Vaters zu bewahren. Sophie hingegen – ihr zwar ähnlich, aber in dieser entscheidenden Sache anders – hatte es getan. Sophie hatte für Aurora den Kampf mit den dunkelsten Mächten der Welt aufgenommen, so aussichtslos er auch war.
    »Tu es doch endlich!«
    Er sah, wie die Zweifel aus Caras Miene schwanden und wie sie ihr Schwert hob. Er schloss die Augen. Dann war da keine Kälte mehr, kein Gesicht aus der Vergangenheit, nur noch Schwärze, als würde er auf den Boden eines dunklen Sees sinken.
    Ich wartete im Flur des Krankenhauses. Es lag der durchdringende Geruch von Desinfektionsmitteln in der Luft; geschäftige Krankenschwestern eilten von Zimmer zu Zimmer; eben wurde das Mittagessen ausgeteilt. Als mein Blick auf gekochtes Rindfleisch mit Reis und Erbsen fiel, musste ich unwillkürlich würgen, und noch mehr, als ein Mann mit randvollem Katheterbeutel an mir vorbeihumpelte.
    Ich saß auf einem Stuhl, umklammerte die Aluminiumlehne und durchlebte immer noch die Fahrt im Krankenwagen, wo die Sanitäter um Auroras Leben gekämpft hatten. Ihr Kreislauf war noch mehrmals zusammengebrochen, doch jedes Mal war es gelungen, sie wiederzubeleben. Man hatte sie intubiert, und die Wirbelsäule und der Kopf waren stabilisiert worden.
    Ein mittleres Schädelhirntrauma mit Verdacht auf Hirnblutung, lautete später die Diagnose des Arztes.
    Ich konnte mich nicht erinnern, ob es derselbe war, der sie auch damals nach ihrem Krampfanfall untersucht und festgestellt hatte, dass sie ein völlig gesundes Kind war.
    Auf jeden Fall schien er sehr besorgt, seine Bewegungen hektisch und seine Miene ernst, als er nach stundenlangem Warten auf mich zukam.
    Ich konnte mich kaum rühren und hielt die Aluminiumlehne umklammert, während Nathan auf ihn zustürzte. Er war die ganze Zeit an meiner Seite geblieben; seine Anwesenheit hatte mich beruhigt, doch nichts, was er gesagt hatte, war zu mir durchgedrungen.
    Der Blick des Arztes glitt erst über Nathans Gestalt, dann über mich. Ich hatte bis jetzt keine Kraft gefunden, mich zu waschen, war über und über mit Erde, Staub, Ästen, Gräsern und Blut bedeckt.
    »Wie geht es ihr?«, rief Nathan.
    »Ihr Zustand ist stabil, aber wir mussten sie in ein künstliches Koma versetzen. Wir verhindern damit einen weiteren Anstieg des intrakraniellen Drucks. Den messen wir im Übrigen mit einer Parenchymsonde. Sie bekommt Osmodiuretika – vor allem Mannitol. Mit einer Abdomen- und Thoraxsonographie haben wir weitere Verletzungen ausgeschlossen. Jetzt müssen wir abwarten. Neurologische Restdefekte sind nicht auszuschließen, aber wir wollen nicht mit dem Schlimmsten rechnen.«
    Ich blieb starr sitzen. Offenbar dachte er, ich hätte seine Worte nicht verstanden, denn er beugte sich zu mir herunter wie zu einem verstockten, ängstlichen Kind. »Haben Sie gehört, Frau Richter? Sie … «
    »Ja«, hauchte ich. »stabil … abwarten … Mannitol … «
    An die nächsten Stunden und Tage kann ich mich kaum erinnern. Irgendwann löste ich mich aus der Starre, ließ zu, dass auch meine Verletzungen behandelt wurden.
    Ich bezog es nicht auf mich, begriff erst später, dass ich viel zu lange weder etwas gegessen noch getrunken hatte, doch auch jetzt wollte ich nichts essen und trinken, wollte nur zu Aurora.
    Eine Schwester mit knarzender Stimme erklärte streng, dass ich Aurora erst dann sehen dürfe, wenn ich selber wieder bei Kräften sei, und dass man mir eine Infusion verabreichen müsse, um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen.
    Ich spürte kaum, wie die Nadel in meine Armbeuge stach. Stundenlang starrte ich auf den Tropf, der sich nur quälend langsam leerte. Später gab man mir etwas zu essen. Lustlos würgte ich es durch meine trockene Kehle – ich wusste nicht, was es war, es schmeckte nach nichts.
    »Es wird alles gut … «, sagte Nathan.
    Diese Worte waren fortan in meinem Kopf: »Es wird alles gut«. Es waren die einzigen Worte, die durch die Stille drangen – die lange Stille an Auroras Krankenbett, in der sie keinen Laut von sich gab, sie keine Regung machte.
    Eigentlich war es nicht still. Sie war an eine Herz-Kreislauf-Maschine angeschlossen, die bei jedem Herzschlag piepste, und immer wieder kam jemand herein, öffnete und schloss sich die Tür. Aber ich nahm nichts davon wahr, spürte nur hin und wieder Nathans Hand auf meiner Schulter und starrte Aurora an.
    Ich schlief ein, erwachte wieder. Wie von

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