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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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Ruck ging durch seine Gestalt. Er wandte sich von ihren blauen Augen ab, und das Lächeln schwand von seinem Gesicht, offenbarte nicht mehr Faszination und Hingabe, sondern wieder all seine Verbissenheit und Grausamkeit. Nathan hatte das Schwert erhoben, doch ehe er den Feind damit traf, hielt Caspar ihm seines entgegen. Die beiden Klingen ruhten kurz aufeinander, schienen zu verschmelzen, um dann umso erbitterter die Luft zu zerschneiden. Ich war blind für den Kampf, ich hatte nur Augen für Aurora, die immer noch auf ihren Zehenspitzen am äußersten Rand der Felsspitze stand.
    »Aurora!«, schrie ich, »Komm runter, komm her!«
    Aber ich konnte nicht verhindern, dass Aurora wieder Caspars Name rief und dieser wieder kurz von der Macht ihrer blauen Augen bezwungen war, so dass Nathans Schwert ihn traf und blaues Blut aufspritzte. Doch er war nicht tot. Mit letzter Kraft hob Caspar sein Schwert, richtete es auf Nathan, wollte auf ihn einschlagen. Mitten in der Bewegung kippte er plötzlich nach hinten, und das Schwert fiel in Auroras Richtung.
    Sie sprang zur Seite und entging der scharfen Klinge, aber durch die abrupte Bewegung war sie ins Wanken gekommen. Eine Weile kämpfte sie um ihr Gleichgewicht, schwankte in die eine, dann in die andere Richtung und stürzte schließlich in die Tiefe.
    »Nein!«
    Wer hatte da geschrieen? Nathan, Cara, ich – oder Caspar? Ich sah, dass er gekrümmt auf dem Boden lag, unfähig, sich zu regen. Sein Blick war auf den leeren Felsvorsprung gerichtet, wo eben noch Aurora gestanden hatte. Ich konnte seinen Ausdruck nicht deuten, nicht entscheiden, ob er entsetzt war oder zufrieden.
    Nathan ließ sein Schwert sinken. Cara trat zu ihm, nahm es ihm aus der Hand. »Ich mache das … «, hörte ich sie sagen. »Kümmere du dich um Aurora.«
    Noch vor Nathan stürmte ich nach unten und sah in der Tiefe den Stoff von Auroras Kleid flattern. Mindestens fünfzehn Meter war sie gefallen, auf hartem Boden aufgeprallt, über Erde und Steine gerollt und dann im dornigen Gebüsch hängen geblieben.

XIII .
    »Sie atmet nicht!«, schrie ich. »Ich kann ihren Herzschlag nicht fühlen!«
    Ich war die letzten Meter eher gerutscht als gelaufen, unter meinen Fingernägeln war Erde und Staub. Meine Hände, Unterarme und Knie waren übersät von Schrammen und blauen Flecken. Ich spürte nichts davon. Als ich Aurora erreichte, lag sie nicht unnatürlich verrenkt vor mir, sondern auf dem Rücken, als würde sie schlafen. Ihr rotbraunes Haar war wie ein Fächer um ihren Kopf ausgebreitet. Auf den ersten Blick erkannte ich keine sichtbare Verletzung, und dennoch spürte ich instinktiv, wie schlimm es um sie stand. Ich beugte mich über sie, sah, dass aus einem Ohr Blut lief. Aus ihrer Nase sickerte eine farblose Flüssigkeit, der Mund war leicht geöffnet und ihre Züge starr. Ich glaubte ihren flackernden Atem zu vernehmen, doch als ich mich tiefer über ihr Gesicht beugte, verstummte dieses rasselnde Geräusch. Ich packte ihr Handgelenkt, fühlte dort nach dem Puls, dann, als ich nichts spürte, an ihrem Hals, an ihrer Brust.
    Nichts. Es war kein Leben mehr in ihr.
    Vorhin hatte ich kaum gewagt, sie anzufassen, um nichts falsch zu machen, nun rüttelte ich sie leicht, schrie immer wieder ihren Namen.
    »Sie atmet nicht!«, schrie ich immer wieder. »Ich kann ihren Herzschlag nicht fühlen!«
    Dann endlich war Nathan an meiner Seite. Dass er so lange gebraucht hatte, um diese Strecke zu überwinden, verriet seine tiefe Erschöpfung nach dem Kampf. Doch nichts davon trübte seinen Blick, der auf Aurora gerichtet war – ein Blick voller Liebe, voller Sorge, voller Angst. Auch er rief ihren Namen und hielt mich schließlich davon ab, weiter an ihr zu rütteln. »Wahrscheinlich eine schwere Kopfverletzung … wir müssen den Kopf ruhig halten.«
    »Sie muss doch wieder atmen … «, stammelte ich.
    Meine zitternden Händen zuckten zurück. Jetzt beugte er sich über sie, legte seine beiden Hände übereinander auf die linke Seite ihrer Brust und begann zu pressen. Immer wieder unterbrach er, legte seine Lippen auf Auroras und atmete entweder in ihren Mund oder in ihre Nase. Erst nach einer Weile erkannte ich, welchem Rhythmus beides unterlag. Fünfzehn mal auf die Brust pressen, zwei Mal in den Mund atmen, fünfzehn Mal auf die Brust pressen, zwei Mal in die Nase atmen.
    »Kannst du nicht etwas anderes machen?«, schrie ich. »Sie ist doch kein normales Mädchen, sondern eine Nephila! Und Nephilim sind

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