Der Kuss des Verfemten
können doch nicht vor einer leeren Tafel sitzen?«
Sie traten an den Kopf der Tafel. Die Gäste standen hinter ihren Stühlen und wagten sich nicht zu setzen, bevor nicht das herzogliche Paar Platz nahm. Isabella beugte sich zu Martin und flüsterte: »Es ist deine erste Amtshandlung als Herzog. Schick sie nach Hause!«
Martin hob die Augenbrauen. »Sollten wir das?«
Sie senkte den Kopf. Der Geruch des gebratenen Fleisches verursachte ihr Übelkeit. Martin bemerkte ihre Blässe. Seine Augen schweiften über die Gästeschar, die ihn erwartungsvoll anblickte. Viele waren von weither angereist.
»Meine lieben Gäste«, sagte Martin. »Eigentlich sind wir zusammengekommen, um ein freudiges Ereignis zu feiern, unsere Vermählung. Überschattet wird es nun durch den plötzlichen und unerwarteten Tod des Herzogs. Doch auch er wollte, dass seine Tochter glücklich wird, und hat dieses wunderbare Hochzeitsmahl ausgerichtet. Ehren wir sein Andenken und bezeugen wir ihm unsere Dankbarkeit, indem wir uns alle an den Köstlichkeiten laben. Und auch das Volk, die Bauern und Händler, die Musikanten und Sänger. So nehmt Platz an der Tafel, speiset und trinkt gemessen. Musikanten! Spielt Lieder, nicht von Freude, nicht von Trauer, spielt und singt von der Liebe!« Er sah, wie die Gäste erleichtert aufatmeten.
Er setzte sich auf seinen samtbezogenen Sessel, und auch Isabella nahm Platz. »Sehr salomonisch, deine Entscheidung«, flüsterte sie ihm zu.
»Vielleicht werde ich doch noch ein weiser Mann«, meinte Martin mit leiser Selbstironie. »Ich werde die Schärfe des Schwertes gegen die Schärfe des Geistes eintauschen müssen.«
Isabella lächelte. »Auch das ist weise. Kriege sind genug geführt worden.«
Sie griff zu einem Stück süßem Kuchen. Er beugte sich zu ihr und küsste sie auf die blasse Wange. »Ich bin froh, so eine liebe und kluge Frau an meiner Seite zu wissen.« Ein wenig verwundert blickte er auf ihren Teller, auf den sie sich einen Essighering legte. »Aber findest du das klug? Dir wird übel davon!«
»Mir ist schon übel. Ich glaube, ich möchte mich zurückziehen. Es war ein bisschen viel an diesem Tag. Und an morgen darf ich gar nicht denken.«
»Ich begleite dich«, sagte Martin und bestand darauf, als Isabella abwehren wollte.
»Bleibt sitzen, meine Gäste, und feiert weiter. Ich begleite Isabella nur zu ihrem Gemach, damit sie sich ausruhen kann.«
Langsam gingen sie den Gang entlang, der zu den Frauengemächern führte. Isabella seufzte und blickte zu Martin auf. Freud und Leid lagen so dicht beieinander. Jetzt, wo sie beide allein waren, war ihr Unbehagen verschwunden. Sie sah nur noch ihn, den begehrenswerten Mann, den stolzen und furchtlosen Ritter, der so viel auf sich genommen hatte, um nun an ihrer Seite zu stehen.
»Dein Vater ist tot«, sagte Martin leise. »Ich verstehe, wenn du dich jetzt in Trauer zurückziehen möchtest.« Er nahm ihre Hand und zog sie an seine Lippen. »Isabella«, murmelte er.
»Martin!« Es klang wie das Schwingen zarter Glocken aus Silber. Er starrte sie an, und seine Sehnsucht überwältigte seinen Vorsatz der ritterlichen Zurückhaltung.
Sie stand vor ihm, ihre Wangen glühten in einem leidenschaftlichen Rot. »Es ist unsere Hochzeitsnacht!«
»Meine Isabella!« Ihr Name klang wie ein Wunsch auf seinen Lippen, dann zog er sie in seine Arme. Ihre Augen trafen sich und hielten sich aneinander fest. Der Moment wurde zur Ewigkeit. Er beugte seinen Kopf zu ihr herab, sie hob sich auf die Zehenspitzen. Zärtlich suchten sich ihre Lippen, doch sie hatten viel zu lange gewartet, viel zu stark gelitten, als dass sie sich noch länger in Anstand zurückhalten konnten. Das Leben nahm sich sein Recht. Sie fuhr mit den Fingern durch seine blonden Locken, presste sich an ihn und stöhnte leise in seinen Kuss hinein. Seine Hände umfassten ihre Taille, spürten das Beben ihres Körpers. Er hob sie kurzerhand auf seine Arme und trug sie hinüber in das Hochzeitsgemach mit dem wundervollen weichen Bett, über das sich ein Baldachin aus nachtblauem Samt spannte. In einer duftenden roten Wolke aus Rosenblättern sanken beide nieder.
Aus dem Schatten einer der Säulen löste sich eine dunkle Gestalt. Langsam folgte sie den beiden, ohne dass sie den Mann bemerkt hätten. De Cazeville blickte ihnen mit seinen schwarzen Augen nach. Dann schloss sich die Tür hinter dem Paar. Eine seltsame Mischung aus Verständnis, Wehmut und Enttäuschung lag auf seinem Gesicht. Mit den
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