Der Kuss des Verfemten
er achtete nicht auf die dunkle Gestalt auf der Empore, die mit dem Schatten der Säule verschmolz, die das Kreuzgewölbe trug. In diesem Gewölbe hallte der Fanfarenton wider, der die Anwesenheit des Herzogs und seiner Tochter ankündigte.
Isabella nahm einen tiefen Atemzug und überschritt, ohne zu zögern, die Schwelle. Sie trug das schlichte Kleid aus feinstem Leinen, dessen einziger Schmuck aus einer schmalen, bestickten Borte um den Saum und um den Halsausschnitt bestand. Ihr ungebundenes Haar wallte wie flüssiges Gold über ihren Rücken, auf dem Haupt trug sie einen schlichten Kranz aus wilden Sommerblumen. Langsam und stolz schritt sie an der Hand ihres Vaters zum Traualtar.
Martin spürte die Luft um sie herum flimmern und gleißen. Er starrte ihr mit all dem Hunger seiner Seele entgegen. Er sah die überwältigende Freude in ihren Augen, als der Herzog ihre Hand auf Martins dargebotenen Arm legte. Martin stockte der Atem, als er sie so unwirklich schön neben sich stehen sah. Doch es war kein Traum. Sie hob die Augen zu ihm auf und lächelte. Der Bischof räusperte sich. »Das Brautgeld«, flüsterte er Martin zu.
»Was?« Martin kam aus einer anderen Welt zurück. »Brautgeld? Brautgeld!« In Panik wandte er sich um. Rudolf rollte mit den Augen und deutete mit dem Zeigefinger auf Martins Gürtel, an dem ein kleiner, bestickter Beutel hing. Martins Blick irrte zu Rudolf, dann an seinem Körper herab. »Ach ja!« Aufatmend versuchte er, den Beutel von seinem Gürtel zu lösen. Es klirrte, als die Silbermünzen auf die Steinfliesen fielen und sich vor dem Altar verstreuten.
Schweiß stand auf Martins Stirn, als er den rollenden Münzen nachschaute. Er unterdrückte einen Fluch bei dem Gedanken, wo er sich befand. Hilflos blickte er zum Bischof. Patrick und Jakob hatten sich leise auf die Knie begeben und sammelten die Münzen wieder auf. Mit großen Augen starrte Isabella auf die beiden auf dem Boden herumrutschenden Knappen und biss sich auf die Lippen. Ein glucksendes Lachen drängte in ihrer Brust nach oben.
Aufatmend beugte Martin sich herab, als Jakob sich aufrichtete, um ihm die Münzen zu reichen – und beide stießen mit den Köpfen zusammen! »Au!« Martin fasste sich an die Stirn und schloss entnervt die Augen.
Jakobs Ohren glühten feuerrot. Peinlich berührt zog er sich sofort an seinen Platz zurück. Auch Patrick drückte Martin eilig die Münzen in die Hand, die er aufgesammelt hatte, und begab sich an seinen Platz.
Der Bischof atmete tief durch und setzte die Zeremonie fort. Martin wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Er verfluchte seine Tolpatschigkeit. Warum war er nur so nervös? Mit zitternden Fingern legte er die Münzen auf den Kupferteller, den der Bischof ihm hinhielt. Er vollzog nun die symbolische Übergabe des Brautgelds an Isabella, die die Münzen lächelnd in Empfang nahm. Dann sanken beide vor dem Altar auf die Knie.
Der Bischof hob die Hände zum Gebet. Auf seinem Gesicht zeichnete sich eine tiefe Befriedigung ab. Er war mit dem Gang der Dinge zufrieden, vor allem, dass er ein erneutes Turnier um die Hand der Prinzessin hatte verhindern können. Es war im Sinne der Heiligen Kirche, wenn die Ritter ihre Lanzen erhoben, um das Heilige Land zu erobern und die Ungläubigen daraus zu vertreiben. Aber es war nicht im Sinne der Kirche, um eine Frau wie um ein Prachtross zu streiten. Für die Ritter mochte das kein Unterschied sein, wenn sie sich in ihrem prunkvollen Stolz nur selbst darstellen konnten. Ritter waren eben Krieger. Der Bischof seufzte und fühlte sich wohl nach seinem errungenen Sieg. Dieser Ritter Martin schien ein ganz passabler Kerl zu sein und fromm dazu, sodass der Bischof sich um das geistige Wohl des Herzogtums keine Sorgen zu machen brauchte, auch wenn der Ritter im Augenblick reichlich nervös schien. Doch welcher Bräutigam wäre das nicht?
Nach seinem lateinisch gesprochenen Gebet wandte der Bischof sich dem Brautpaar zu. Er blickte Martin in die Augen.
»Ritter Martin von Treytnar! Ihr steht hier vor dem Angesicht Gottes, um in den heiligen Stand der Ehe zu treten. Seid Ihr gewillt, Prinzessin Isabella zu Eurer Frau zu nehmen und sie zu lieben und zu ehren, bis dass der Tod Euch scheidet?«
Bei diesen Worten hatte Martin Isabellas Hand ergriffen, und sie spürte den festen Druck seiner Finger.
»Ja, das will ich!«, erklang seine Stimme in das Kreuzgewölbe hinauf.
Im Schatten der Säule hob Rupert de Cazeville die kleine Armbrust
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