Der Kuss des Verfemten
mit dem todbringenden Stahlbolzen vor das Gesicht. Er atmete ruhig und gleichmäßig. Seine schwarzen Augen visierten Isabellas Rücken an.
»Prinzessin Isabella, seid Ihr gewillt, Ritter Martin von Treytnar zu Eurem Gemahl zu nehmen, ihm treu zu sein, ihn zu lieben und zu achten, bis dass der Tod Euch scheidet?«
Isabella hob ihren Blick zum Kreuz empor, ihre Wangen glühten. Martin spürte, dass sie zitterte. »Ja, das will ich!«, sagte sie mit fester Stimme.
Der Bischof nickte, und ein zufriedenes Lächeln flog über sein Gesicht. Er beugte sich vor und schlang das mit Perlen und Edelsteinen besetzte Seidenband um die Hände des Paares.
»Hiermit erkläre ich Euch zu Mann und Frau, im Namen das Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen!«
Auch über de Cazevilles Gesicht glitt ein flüchtiges Lächeln. Endlich! Die kleine Isabella hat sich reichlich schwergetan, in den Stand der Ehe zu treten. Irgendwie gönnte er ihr diesen kurzen, feierlichen Augenblick, und aus einem ihm selbst unerfindlichen Grund zögerte er, den tödlichen Schuss abzuschicken. Sollte sie noch den Kuss ihres frisch angetrauten Gatten auf den Lippen spüren, wenn sie starb.
Das Brautpaar, das bis zu diesem Augenblick vor dem Altar gekniet hatte, erhob sich. Isabella warf einen letzten Blick auf das Kreuz, dann wandte sie sich Martin zu. Beide standen sich gegenüber und blickten sich tief in die Augen. Martins Lippen senkten sich auf ihren Mund, als ein grässliches Geräusch sie zusammenfahren ließ. Sie drehte den Kopf und erblickte den Herzog, der mit entsetzt aufgerissenen Augen und weit offenem Mund qualvoll stöhnte. Seine Hand krampfte sich über dem Herzen zusammen.
»Vater!«, schrie sie und lief auf ihn zu. Im Aufschrei der Umstehenden war das Zischen des Stahlgeschosses nicht zu vernehmen, das unmittelbar hinter Isabellas Rücken die Luft zerteilte und mit einem misstönenden Kreischen an einer Steinsäule abprallte.
Mit versteinerten Gesichtern standen die Hochzeitsgäste um den Herzog, der auf den kalten Steinfliesen der Kirche lag. Isabella kniete neben ihm und hielt seine Hände in den ihren. »Vater! Du darfst nicht sterben! Nicht jetzt!« Verzweifelt presste sie seine Hände, doch sein Blick wurde leer. Seine Lippen versuchten Worte zu formen, die sie nicht mehr verstand.
»O mein Gott, warum nur?«, schrie sie außer sich und warf sich über ihn. Martin stand hilflos neben ihr. Isabellas Gesicht war tränenüberströmt, und Martin zögerte einen Moment, unsicher, ob er sie trösten oder sich zurückziehen sollte.
Das Gesicht des Herzogs war grau, seine Lider flackerten, und seine Lippen verfärbten sich bläulich. Er rang nach Luft, und sein Hals bebte. Doch sein Herz versagte ihm endgültig den Dienst, und sein Kopf sank zur Seite.
Der Bischof drängte sich durch die Umstehenden und kam bereits zu spät, um dem Herzog die Sakramente zu erteilen. Seine grauen Augen starrten Isabella an, dann schüttelte er leise den Kopf.
Martin fasste Isabella an den Schultern und zog sie hoch. »Du kannst nichts mehr für ihn tun«, flüsterte er.
»Meine Hochzeitsglocken sind nun seine Totenglocken«, sagte sie mit stockender Stimme.
Der Bischof erhob sich und schaute Martin ins Gesicht. »So seid Ihr jetzt Herzog«, sagte er.
Martin erschauerte. Er musste sich für einen Augenblick auf Isabella stützen. »Gütiger Himmel, es bricht wie eine Lawine über uns herein«, stöhnte er. Doch dann straffte er sich. »So sei es!«
Der Herzog wurde in der Mitte vor dem Altar aufgebahrt, wo noch vor wenigen Minuten Martin und Isabella getraut worden waren. Die Sonne schien mit gleicher freudiger Stärke durch das Rosenfenster und tauchte die Trauergemeinde in buntes Licht. Sechs Ritter hielten die Totenwache. Martin legte seinen Arm um Isabella, und beide verließen mit gesenkten Häuptern die Kirche. Zwei schwarze Augen blickten ihnen voll Ingrimm nach.
*
Im Prunksaal war eine lange Tafel eingedeckt und bog sich unter den Köstlichkeiten, die in der Schlossküche zubereitet worden waren. Doch der Festzug, der in diesem Augenblick den Saal betrat, war alles andere als fröhlich. Seufzend blickte Isabella über die herrlichen Platten mit Hirschbraten, Schweinen, Ochsenkeulen, Würsten, Gänsen, Forellen, Krebsen und gefüllten Drosseln. Angewidert wandte sie sich ab. Martin hatte den Arm um sie gelegt.
»Es ist einfach Verschwendung«, sagte sie leise zu ihm.
Martin nickte. »Und was sollen wir jetzt tun? Unsere Gäste
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