Der Kuss des Verfemten
beherrsche. Doch wisst Ihr, ich kann nicht nur töten. Ich kann foltern, heilen, Leben spenden, weissagen, Gedanken lesen …« Genüsslich blickte er in Isabellas Augen, in denen blankes Entsetzen lag. »Ich kenne die Menschen wie kein anderer!« Seine Stimme war zu einem Flüstern herabgesunken. Er hielt Isabella immer noch fest.
Sie zitterte am ganzen Leib. Mühsam versuchte sie, sich zu beherrschen. De Cazeville blickte abschätzend auf sie herab. Welch kindliche Figur, welch zartes Wesen! Kein Vergleich mit der glutäugigen, feurigen Gunilla. Er lächelte versonnen, als er sich bei dem Vergleich ertappte. Es war vorbei! Er hatte Gunilla diesem Spiel geopfert. Er konnte es nicht ungeschehen machen. Und er vergeudete keine Zeit damit, es zu bereuen. Gundram war seiner Schwester gefolgt. Nun würde ihn nichts mehr an Gunillas Leidenschaftlichkeit erinnern. Außer Isabella! Sie war der Grund, dass sich eine blutige Spur durch die Vergangenheit zog.
Er ließ Isabella los und lehnte sich gegen die Säule, während Isabella sich schnell aus seiner Reichweite entfernte. Sie lief zum Tisch und setzte sich, weil sie befürchtete, ihre Kräfte würden sie verlassen.
»Was habe ich Euch getan, dass Ihr mich töten wollt?«, fragte sie.
»Nichts!« Er hob die Schultern und schaute sie gleichgültig an.
»Würde ich es nicht tun, würde es ein anderer erledigen.«
»Aber warum?«
»Könnt Ihr Euch das nicht denken?« Er lächelte zynisch. »Ihr seid eine Gefahr für das ganze Kaiserreich. Glaubt Ihr, Heinrich wünscht sich einen Schatten, der nur darauf wartet, den Thron zu besteigen? Ebenso könntet Ihr ihn beseitigen lassen!«
»Niemals würde ich das tun!«
»Wirklich nicht? Die Aussicht, auf dem Kaiserthron zu sitzen, ist verlockend genug, mit allen Prinzipien zu brechen. Und Ihr wäret wahrlich nicht die Erste, die sich den Weg freimordet.«
»So wie Ihr!«
»Irrtum! Es ist nicht mein Weg. Mich interessieren die Ziele nicht. Ich will nicht auf einem Thron sitzen, um Macht auszuüben.«
»Dann wäret Ihr der erste Mann, der nicht danach strebt, Macht zu besitzen.«
»Wieder ein Irrtum! Ich übe mehr Macht aus als jeder Kaiser.«
Isabella schaute ihn an und zog die Augenbrauen unwillig zusammen. »Vergleicht Ihr Euch etwa mit Gott?«
De Cazeville lachte, und Isabella stellte mit Grausen fest, dass sein Gesicht sich zwar verzog, seine Augen jedoch kalt und durchdringend blieben. »Welchem Gott? Eurem Gott, der sagt, alle Menschen sollen sich lieben? Der sagt, dass Töten Sünde ist?«
»Ja, denn es gibt keinen anderen Gott!«
»Arme Irre! Wie blind seid Ihr doch. Nicht nur, dass Ihr die Worte Eures eigenen Gottes Lügen straft! Ist es etwa kein Töten, einen anderen auf dem Schlachtfeld niederzustechen? Oder den Gegner in der Turnierbahn aus dem Sattel zu heben, damit er sich das Genick bricht? Und dieses angebliche Gottesurteil, das fechten zwei Sterbliche aus! Derjenige gewinnt, der die größere Kraft, die größere Ausdauer und vielleicht auch etwas mehr Glück hat. Es sei denn …«
»Ja?«
»Er nahm die Kräfte der Götter in sich auf.«
»Welcher Götter?«
»Die der alten Welt!«
Isabella sprang auf. »Seid Ihr ein Zauberer, ein Hexenmeister, ein Priester des alten Glaubens?«
»Nennt es, wie Ihr wollt.«
»Gütiger Himmel!« Isabella bekreuzigte sich.
»Das wird Euch auch nichts mehr nützen.«
»Ihr wollt mich immer noch töten?«, fragte sie mit stockendem Atem.
»Natürlich, es muss sein. In meiner Religion ist das Töten nichts Verwerfliches. Im Gegenteil! Es ist ein Mittel der Notwendigkeit. Ihr sterbt für den guten Zweck, die Stabilität des Kaiserreiches zu erhalten. Ich verspreche Euch, dass Ihr nicht leiden werdet. Meine Kenntnisse des menschlichen Körpers sind umfassend. Ich kann jemanden über Tage, Wochen und Monate leiden lassen, dass er sich wünscht zu sterben. Ich kann einen Menschen in kurzer Zeit heilen, wie er es selbst nicht geschafft hätte. Und ich kann einen Menschen in die Andere Welt schicken, ohne dass er es spürt. Wenn Ihr Euch fürchtet, würde ich für Euch diesen letzten Weg wählen.«
»Ihr seid ein Teufel, ein Scheusal!« Isabella sprang auf.
Jetzt lächelte er tatsächlich milde, und sie starrte ihn entgeistert an. Wie viele Seelen lebten in seinem Körper?
»Welch harsche Worte!«, sagte er tadelnd. »Aber sie treffen mich nicht. In meiner Welt gibt es diese Worte nicht.«
»Was ist das für eine Welt, in der Ihr lebt? Töten ist für Euch keine
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