Der Kuss des Verfemten
sich wie ein Wurm unter Isabellas blitzenden Augen. »Nein, Hoheit, das heißt …«
»Ich schlage dich, du Bauerntrampel, wenn du mich zum Narren hältst!«
»Hoheit, wahrscheinlich war dieser Mann, der sich als Ritter Michael ausgab, ein Betrüger oder …«
»Er war kein Betrüger! So ein Lied kann kein ungebildeter Junge dichten, seine Umgangsformen waren ausgesprochen edel und vornehm!« Sie starrte das Mädchen an. »Oder?«
»Oder … oder er war gar kein Mensch!« Rosamunde pustete die Luft aus. Jetzt war es endlich heraus!
»Kein Mensch? Was willst du damit sagen?«
»Dass er … er war … er ist … Euer Schutzengel, eine Erscheinung, ein Geisterbild!«
Rosamunde trat vorsichtshalber zwei Schritte zurück, um aus Isabellas Reichweite zu gelangen.
»Erscheinung? Trugbild?« Sie berührte mit den Fingern ihre Lippen. »Aber er hat doch … er hat mich …« Sie erinnerte sich an den süßen Druck seiner Lippen, den warmen Hauch seines Atems, der köstlichen Feuchte seiner Zunge. Sie verspürte noch einmal das überwältigende Prickeln in ihren Adern, das Flattern der Schmetterlingsflügel in ihrem Bauch. Alles war so real, so fassbar, so wirklich! Das sollte ein Trugbild sein, eine Einbildung?
Inzwischen war die Leiche des Ritters Heinrich vom Platz getragen worden. Bodo hatte Gundrams Pferd eingefangen, das nahe daran war, durchzugehen. Gundram ließ sich vom Pferderücken gleiten und taumelte mit kraftlosen Schritten zur Ehrenloge. Er riss sich den Helm vom Kopf und kniete im Sand der Turnierbahn vor den Edeldamen und dem Herzog nieder. Triumphierend blickte er zu Isabella empor. Über sein schweißüberströmtes Gesicht sickerte ein dünner Blutfaden, der vom Stoß der Lanze seines Gegners stammte. Gundram schien es nicht zu bemerken.
Die vielen Zuschauer jubelten ihm nun zu, Blumen flogen in hohem Bogen in den Sand der Kampfbahn. Erwartungsvoll hob Gundram den Kopf.
»Nun wirf ihm dein Tuch zu!«, forderte der Herzog sie auf.
Isabella starrte auf das grinsende Gesicht, das von der roten Narbe so entstellt wurde. Er würde ihr Gatte werden! Er würde sie vor den Altar führen! Mit ihm müsste sie nachts das Lager teilen! Panik ergriff sie.
»Na los, worauf wartet Ihr?«, zischte Mathilda.
Gundram verharrte immer noch in seiner demütigen Stellung. Sein Knappe Bodo stand hinter ihm und hielt sein zitterndes Streitross. Alle Augen hefteten sich auf Isabella. Entsetzt starrte sie hinunter auf den Turnierplatz. Sie schluckte schwer und fuhr mit der Zungenspitze über ihre ausgetrockneten Lippen. Sie schmeckte Staub und salzigen Schweiß.
Langsam erhob sie sich, und Gundrams Lächeln wurde breiter. Verzweifelt knetete sie das Spitzentuch in ihren Fingern.
Ritter Michael! Wo war er? Warum war er nicht zu dem Turnier angetreten? War er eine Illusion, ein Wunschtraum, dem sie nachjagte? Ihre Hände umkrallten die mit bunten Tüchern geschmückte Bande.
»Ich … gratuliere Euch … zu Eurem Sieg, Ritter Gundram«, sagte sie stockend. »Ihr habt Euch als … ein mutiger Kämpfer … erwiesen und als wahrer Ritter. Ihr tragt meine Farben … weil Ihr mir zu Ehren gekämpft habt. Zu Eurem Siege stifte ich diesen goldenen Pokal.« Sie schwieg.
»Nun werft doch endlich Euer Tuch!« Mathilda rang die Hände. »Ihr macht Euch unglücklich!«
Isabella hob den Blick zum Himmel. Ihre Lippen bewegten sich, und nur die Umstehenden konnten vernehmen, was sie murmelte: »Am Ende kniet der Sieger vor seiner holden Maid, ein abgekämpfter Krieger, in einem blutig Kleid. Das Kampfspiel war vergangen, der Ritter wollt den Lohn für sein gerecht Verlangen …«
»Isabella! Nein!« Mathilda sprang auf sie zu und schüttelte ihre Schulter. »Das dürft Ihr nicht tun!«
Gundram hatte sich erhoben und mit wachsendem Erstaunen Isabellas seltsames Gebaren verfolgt. Sein Lächeln gefror auf seinem Gesicht. »Was soll das?«, fragte er misstrauisch.
Langsam senkte Isabella die Augen und blickte ihn an. »Es tut mir leid, Ritter Gundram, aber ich kann Euch nicht zum Gemahl nehmen!«
Auf dem Turnierplatz herrschte Totenstille. Isabella zuckte zusammen, als Gundram seinen Helm fallen ließ, der scheppernd zu seinen Füßen davonrollte. Dann brach ein unbeschreiblicher Tumult los. Alle schrien durcheinander, sprangen über die Banden, stürmten den Turnierplatz und drängten zu Isabellas Loge. Gundram stand immer noch mit törichtem Unverständnis im Gesicht vor der Loge und starrte Isabella an. Es wollte nicht in sein
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