Der Kuss des Verfemten
selbstsüchtig. Ich halte dich von deinen Pflichten ab und lasse die Frauen mit ihrer Arbeit allein.« Sie drehte sich um und wollte wieder zur Küchenecke zurückkehren. Martin hielt sie am Handgelenk fest.
»Konstanze?«
»Ja?«
»Danke!« Er beugte sich zu ihr herab und küsste sie. Sie erwiderte diesen Kuss mit dem ihr eigenen Temperament. Versonnen blickte Martin ihr nach. Dann riss er sich aus seinen Gedanken. Es gab noch so viel zu tun, um den Angriff vorzubereiten. Und er musste sich mit Rudolf und seinen Waffenmännern noch strategisch beraten. Es würde ein Überraschungsangriff auf die nur schwach besetzte Burg werden. Ihre Ortskenntnisse kamen ihnen dabei ebenso zugute wie der Schutz der Dunkelheit, während der sie angreifen wollten.
*
Isabella und Mathilda lagen eng umschlungen auf der harten Holzpritsche. Sie hatten eine schreckliche Nacht voller Angst hinter sich. Für beide war es tröstlich, ein menschliches Wesen neben sich zu wissen und mit ihm Angst und Einsamkeit zu teilen. In der Dunkelheit zogen vor Isabellas Augen wieder und wieder die schrecklichen Bilder der letzten Stunden vorüber. Warum befand sie sich hier in diesem Verlies? Was hatte sie verbrochen, dass sie wie eine Verbrecherin behandelt wurde? Sie war doch die Tochter des Herzogs!
Die letzten Tage waren voller Aufregung und fremder Eindrücke gewesen: das Sängerfest mit den vielen unbekannten Menschen, das Lied des Ritters Michael, das sich auf so unheimliche Weise bewahrheitete, das farbenprächtige Turnier, das einen Ritter das Leben und den größten Teil von ihnen die Gesundheit gekostet hatte, Gundrams Zorn über ihre Verweigerung – und der niederträchtige Mord an Gunilla! Isabella schauderte. Irgend etwas geschah außerhalb ihres Wissens, außerhalb ihrer Wahrnehmungsfähigkeit! Wer sollte Interesse am Tod der attraktiven Frau haben, die niemandem etwas zuleide getan hatte? Sie hatte gestohlen, aber das war doch kein Grund, die Diebin gleich zu ermorden! Und wer hatte sie ermordet? Gunilla wollte etwas sagen, bevor der Pfeil aus der Armbrust ihr ein grausames Ende bereitete. Wer hatte Interesse an dieser Truhe, wenn Gunilla sie nicht für sich selbst haben wollte? Und was befand sich darin? Isabella ruckte unruhig auf ihrer Liege hin und her. Gab es ein Geheimnis auf der Burg ihres Vaters?
Die beiden Mädchen fuhren erschrocken auf, als sich die Tür zum Verlies öffnete. Der alte Kerkermeister, der sie am Abend zuvor hier eingesperrt hatte, betrat den Raum mit einem Leuchtfässchen in der Hand. Hinter ihm erblickten sie die massige Gestalt von Gundram, und beide wichen zur Wand zurück.
Im Licht des Talgtopfes erkannten sie mit Entsetzen, dass in der Mitte des Raumes ein vergittertes Loch klaffte, über dem eine Winde angebracht war. Gütiger Himmel, darunter befand sich das Angstloch, in das die Gefangenen herabgelassen wurden, um nie wieder ans Tageslicht zurückzukehren!
Gundram bemerkte den Blick der beiden Mädchen und grinste. »Eigentlich müsstet Ihr Euch bedanken, dass Ihr eine bevorzugte Behandlung genießt, teure Isabella«, sagte er in spöttischem Ton. Mathilda schien für ihn nicht vorhanden zu sein.
»Bevorzugt?«, schnaubte Isabella. »Ihr wagt es, so mit mir zu sprechen? Ihr vergesst, wen Ihr vor Euch habt!«
»Nein, das habe ich nicht vergessen, und Ihr seid mir ein teures Unterpfand, Euren starrsinnigen Vater zu zwingen, Euch mir zur Frau zu geben!«
»Lasst meinen Vater aus dem Spiel, Gundram! Er hat Euch nichts getan! Ich habe gesagt, dass ich nicht Eure Frau werden will!«
Gundram schüttelte den Kopf. »Weiß der Kuckuck, wieso Ihr auf die Idee kommt, Ihr könntet Euch Euren Gatten selbst wählen. Keine Frau kann das, Frauen werden verheiratet!«
»Ich heirate nur den Mann, den ich liebe!«, erwiderte Isabella trotzig.
Gundram lachte laut auf, und die Prinzessin zuckte zurück. »So ein Unsinn! Hat man Euch das im Kloster gelehrt? Oder hat Euch gar ein anderer Mann besessen in der kurzen Zeit, seit Ihr aus dem Kloster dieser alten Fledermäuse zurück seid?«
»Und wenn es so wäre?«, gab sie spitz zurück.
Für einen Augenblick runzelte Gundram die Stirn und sah zum Fürchten aus. »Es ist mir egal«, sagte er zu Isabellas Erstaunen gleichgültig und wandte sich von ihr ab.
»Das ist Euch egal?«, fragte Isabella verwundert. »Wäre das nicht ein Grund, mich zu meinem Vater zurückzuschicken?«
»Oh, das hättet Ihr wohl gern?«, fragte er belustigt. »Schlagt Euch diese fixe
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