Der Kuss des Verfemten
sie geritten haben, als sie sich an Isabella geklammert hatte, um ihr Schicksal zu teilen.
Plopp! – Plopp! – Plopp!
»Mein Gott, ich bin eine Prinzessin!«, klagte Isabella in die Dunkelheit hinein, und ihr goldenes Kleid, das sie immer noch trug, raschelte leise bei jeder Bewegung. »Wie kann er mich nur so grausam behandeln, dieser gemeine Mensch!« Sie erhob sich und lief nervös im Kreis herum. »Ich will hier raus!«
Ein Geräusch ließ sie zusammenfahren.
»Kommt lieber wieder hierher auf die Bank, Hoheit«, sagte Mathilda leise. »Es gibt hier bestimmt ekelhaftes Getier, Schlangen, Kröten, Ratten …«
»Ach, hör auf!«, schluchzte Isabella, doch sie hockte sich wieder neben Mathilda und schlang ihre Arme um sie. »Gib mir Halt, gib mir Wärme, gib mir Kraft«, flüsterte sie.
Mathilda war sich nicht sicher, ob Isabella damit sie oder Gott meinte, aber es war ihr gleichgültig. Nicht auszudenken, wenn die arme Isabella allein in diesem Kerker hätte hocken müssen, ohne einen anderen Menschen, mit dem sie reden, an den sie sich anlehnen und mit dem sie ihre Angst teilen konnte!
Isabellas Lippen zitterten, dann formten sie kaum vernehmbare Worte:
»Erzürnt packt er die Maide
und warf sie ins Verlies,
in ihrem goldnen Kleide,
wo er sie darben ließ.
Kein Ritter jemals sehnte
sich nach dem schönen Kind,
weil Hochmut sie entlehnte,
wo Helden wahrhaft sind.«
»Nein, bitte nicht!«, versuchte Mathilda sie zum Schweigen zu bringen.
Unbeirrt, wie in einem Gebet murmelte Isabella weiter:
»Im Kerker sie nun weinte
um ihren Ritter lieb,
der sich mit ihr nicht einte
und in der Ferne blieb.
So ward der Held zum Traume
einer Prinzessin hold,
die sich nicht hielt im Zaume
und keine Ehre zollt.«
Tröstend streichelte Mathilda ihr über die Schultern. Isabella hob den Kopf. »Mathilda, du bist wirklich meine Freundin, meine Schwester! Dass du mich mit meinem schrecklichen Schicksal nicht allein gelassen hast, werde ich dir nie vergessen!«
»Ich danke Euch, Hoheit, aber es ist für mich selbstverständlich!«
»Nein, so etwas ist eben nicht selbstverständlich! Und gerade deshalb bin ich so froh darüber. Du bist ein Lichtschein in der Dunkelheit dieses Kerkers. Du bist meine Schwester und mir damit gleichgestellt. Deshalb sollst du auch zu mir ›du‹ sagen!«
»Aber Hoheit, das geht doch nicht!«, widersprach Mathilda erschrocken und gleichzeitig gerührt.
»Natürlich geht das, weil ich es dir anbiete. Du bist mir jetzt gleichgestellt. Nicht meine Zofe, nicht meine Bedienstete, sondern meine Schwester!«
Sie pressten sich aneinander und zitterten, spürten aber die Wärme des anderen, und das gab ihnen Kraft.
*
Beißender Qualm stieg von den offenen Feuerstellen auf, die im Hof der alten Burgruine loderten. Gehilfen fachten mit großen Blasebälgen aus Leder immer wieder aufs Neue die Glut an. Der Schmied lief von einer Feuerstelle zur anderen, kontrollierte die Arbeit seiner Gesellen, griff da und dort selbst zu und hämmerte auf dem rot glühenden Metall herum, dass die Funken flogen. Rüstungsteile, Kettenhemden, Schildbeschläge, Pfeilspitzen, Schwertklingen lagen über den ganzen Hof verstreut, hingen an hölzernen Gestellen oder wurden gleich weiterverarbeitet. Mehrere Männer schnitzten Pfeilschäfte, bezogen die Bogen mit Sehnen oder belegten die Schilde mit den Beschlägen. Zwei Sattler schnitten Lederteile zurecht, stellten Riemen, Gurte, Helmeinsätze, Pferdehalfter und Sattelbezüge her. Es gab keine müßige Hand auf der alten Burg. Auch die Frauen trugen ihren Teil dazu bei, nähten Hemden, Hosen, Waffenröcke, Pferdedecken oder pökelten Fleisch, trockneten Fisch und füllten Bier und Wein in kleine Lederschläuche. Martin ließ rüsten!
Endlich hatte die lange Wartezeit ein Ende, endlich sollte die Burg gestürmt werden, die einmal ihre Heimstatt war und die Gundram sich samt den dazugehörigen Dörfern und Ländereien auf eine schändliche Art unter den Nagel gerissen hatte. Doch nicht allein Gundrams schamloser Betrug, sondern auch sein barbarisches Wüten unter den Bauern, die sich gegen seine Willkürherrschaft aufgelehnt hatten, musste gesühnt werden! Es gab nicht einen unter Martins Leuten, der nicht den Verlust eines Familienmitgliedes zu beklagen hätte. Alle schworen Gundram Rache! Es gab den Männern Kraft und Mut, auch wenn ihre Ausrüstung keineswegs dem entsprach, was Gundrams Mannen oder gar die Soldaten des Herzogs aufzuweisen hatten. Die Soldaten des
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