Der Kuss des Verfemten
stehen. Die beiden Kämpfenden nahmen keine Notiz von ihm. Mit hochroten Gesichtern wälzten sie sich schlagend, kratzend und schreiend auf dem nassen Boden. Wasser und Schmutz klebten an ihnen, und äußerlich gab es keinen Unterschied mehr zwischen den beiden Frauen.
Ein amüsiertes Lächeln flog über sein Gesicht, doch dann verdüsterte sich seine Miene wieder. »Jetzt ist es aber genug!«, knurrte er und packte mit jedem Arm eine der Frauen und zog sie auseinander. »Schämt ihr euch nicht, euch wie brünstige Waldkater zu balgen? Wo bleibt Euer Stolz, Hoheit?« Seine Augen glitten mokant an Isabellas Körper auf und ab.
Heiße Röte überflog ihr Gesicht. Wie konnte sie sich nur so gehen lassen! Nun war sie endgültig zum Gespött dieser Leute geworden! Doch sie schob nur trotzig die Unterlippe vor.
»Ich musste eine aufsässige Magd zurechtweisen«, sagte sie halsstarrig.
Konstanze atmete tief ein, um eine Entgegnung herauszuplatzen, doch Martin befahl ihr mit einer gebieterischen Handbewegung zu schweigen. »Niemand darf eine Magd zurechtweisen außer mir!«, donnerte er. »Am allerwenigsten Ihr, Isabella. Denn Ihr seid hier nicht die Herrin, sondern eine Gefangene. Und ab sofort werdet Ihr auch nicht mehr bedient, sondern Ihr holt Euch selbst, was Ihr benötigt.«
Er drehte sich um und zog Konstanze mit sich, indem er den Arm um ihre Schulter legte.
Mit brennenden Augen starrte Isabella ihnen hinterher. Für einen kurzen Moment drehte Konstanze sich um und streckte Isabella triumphierend die Zunge heraus.
Isabella ballte ihre Fäuste und presste die Lippen zusammen. Diese Schlacht war noch nicht zu Ende geschlagen. Diesem elenden Raubritter würde sie es zeigen, und seiner ungehobelten Bettgespielin ebenfalls!
Neuntes Kapitel
Langsamwandelte Isabella auf dem offenen Wehrgang entlang, soweit er noch intakt und begehbar war. Der Wind fächelte ihr laue Luft zu und trug den zarten Duft von Frühlingsblumen zu ihr herüber. Sie ließ ihren Blick über die sanft gewellte Landschaft streifen und atmete tief durch. Die Sonne schien warm und angenehm. Isabella zog den Umhang von den Schultern und ließ die Sonnenstrahlen über ihre Haut gleiten. Sehnsüchtig hielt sie ihr Gesicht in den Wind. Mit den Händen bändigte sie ihre langen, blonden Locken. Seit Mathilda nicht mehr zu ihrer Verfügung stand, verzichtete sie auf komplizierte Frisuren. Lediglich ihren kleinen goldenen Stirnreif, die Adelskrone, die sie als Angehörige des Hochadels auswies, trug sie auf dem Kopf.
Ihr schlichtes Kleid, das sie aus dem Fundus der geraubten Güter bekommen hatte, umschmeichelte ihre zarte Figur. Ihr eigenes Kleid hatte die Flucht durch den Geheimgang von Gundrams Burg nicht überstanden. Isabella trauerte nicht darum. Bislang war sie es nicht gewöhnt, kostbare Kleider zu tragen. Die Vorfreude auf dieses weltliche Vergnügen, die sie einen kurzen Augenblick gehegt hatte, war verflogen.
Isabella verschlang ihre Finger ineinander, um ihrer Erregung Herr zu werden. Ihre Gedanken kreisten fortwährend um Martin. Ihre Unsicherheit verbarg sie hinter einer Maske aus Hochmut und Arroganz. Aber dahinter fühlte sie sich elend. Er war so ein schöner Mann, ein poetischer Mensch mit einer künstlerischen Seele. Aber er war auch ein Kämpfer, ein Ritter – und ein Räuber und Verbrecher! Ein Ritter konnte noch so viel Ruhm und Ehre gesammelt haben, wenn er seine Ideale verriet, war er nichts weiter als ein gewöhnlicher Bandit. Und das war Martin! Der Wehrgang endete auf einem Wachturm mit einer steinernen Plattform. Sie zuckte zusammen, als sie am Ende des Wehrganges eine Bewegung gewahrte. Sie glaubte, dass es Wachposten seien, und wollte sich abwenden. An den Zinnen standen zwei Personen. Es waren Mathilda und Ritter Rudolf. Rudolf hatte seine Arme um Mathildas Taille geschlungen und zog sie zärtlich an sich. Mathildas Kopf lehnte an seiner Schulter, und beide genossen den Blick über das im Frühlingswind aufblühende Land.
Bei ihrem Anblick verspürte Isabella einen kleinen Stich in ihrer Brust. Die innige Vertrautheit der beiden, die liebevollen Berührungen ließen Isabellas Herz schneller schlagen. Nervös fuhr ihre Zungenspitze über ihre trockenen Lippen. Das Glück der beiden schmerzte sie. Fast fluchtartig wandte sie sich um, um den Wehrgang zu verlassen – und prallte gegen Martin!
»Ein schönes Paar«, sagte er leise, und seine Augen versanken in Isabellas Blick. Erschrocken blieb Isabella stehen und schaute
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