Der Kuss des Verfemten
Schlafgemache!«, dröhnte das vielstimmige Echo.
»So schlich er sich bei Nacht hinein,
der Graf fing schrecklich an zu schrein.
Der alte Recke glaubte fest,
dass ihn ein Geist wohl narren lässt.
Es sei ein toter Rittersmann,
der ihn als Geist besuchen kam,
weil ihn der Graf einstmals erschlug
mit einem vollen tönern Krug.
Der Alte gleich ihn Ohnmacht fällt,
die Gräfin ihre Blöße hält.
Doch nahm der Ritter sich geehrt,
was sie ihm tags zuvor verwehrt.«
»Schamlos!«, flüsterte Isabella mit bebenden Lippen. Sie blickte geradewegs in Martins grinsendes Gesicht und war sich klar, dass Martin ganz bewusst dieses Kneipenlied gewählt hatte, um sie zu brüskieren!
»Im Bette neben dem Gemahl
die Gräfin wurde blass und fahl.
Derweil der Ritter mit der Lanze
spielte ihr Musik zum Tanze.«
»Spielte ihr Musik zum Tanze!«, dröhnte es in Isabellas Ohren. Sie sah die grinsenden, spöttischen Blicke, und voll ohnmächtiger Wut ahnte sie, dass sie mit diesem unziemlichen Text gemeint war. Ihre vehemente Verweigerung, sich Martin hinzugeben, war eine Aufforderung, er solle sich nehmen, wonach ihn gelüstet!
»Ungeheuer!«, keuchte sie. Sie spürte Martins eisernen Griff um ihr Handgelenk, der sie daran hinderte, aufzuspringen und sich dieser offenen Beleidigung zu entziehen.
Martin sang ungerührt weiter:
»Nun lag die Gräfin müd und matt
auf ihrer wüsten Bettestatt,
daneben lag der alte Graf
nun selber wie ein totes Schaf.
Der Ritter Maurice von Craon
nahm sich als allerletzten Lohn
das Hemd der Gräfin zum Gedenken,
dass sie ihm wollt die Gunst einst schenken.
So ritt er fort zum Tor hinaus,
das Hemd als Banner ihm voraus.
Zurück verspottet blieb die Dame
verhöhnet und in tiefstem Schame.«
Doch damit nicht genug. Er zog Isabella in seine Arme und presste sie gegen seine Brust, als er mit voller Stimme schmetterte:
»Drum, edle Damen, schaut und höret,
dass Ihr Euch niemals ihm verwehret,
dem Ritter macht die Beine breit,
und lüpfet Euer schicklich Kleid.«
»Und lüpfet Euer schicklich Kleid!«, brüllte der Chor. Viele sprangen auf und begannen ausgelassen zu tanzen.
»Ferkel!«, rief Isabella außer sich und riss sich aus Martins Armen los. »Gottverdammtes Ferkel!« Wütend bahnte sie sich einen Weg durch die ausgelassenen Menschen, die ihr lachend und singend auf die Schulter klopften, am Rock zupften oder ihr ungeniert eindeutige Gesten machten.
Isabellas Gesicht glühte noch immer in tiefster Scham, als sie längst in ihrer Kammer war und die Hände auf die Ohren presste, um den wüsten Gesang nicht mehr hören zu müssen.
»Prinzessin, versteht Ihr keinen Spaß?«, hörte sie Martins Stimme von draußen, doch dann wurde bereits ein neues Lied angestimmt, dessen Text nicht viel besser war als der vorherige. Isabellas Lippen bebten vor Zorn. Rache! Jawohl, auch sie wollte Rache! Keineswegs wollte sie die Schmach auf sich sitzen lassen, die ihr dieser ungehobelte Raubritter antat. Doch wie sollte sie ihm beikommen? Bis jetzt war er aus ihrem ungalanten Zweikampf immer als Sieger hervorgegangen.
*
Der Geruch frisch gebackenen Brotes erfüllte die Luft und vermischte sich mit dem verlockenden Duft gebratenen Fleisches, der von den offenen Feuerstellen auf dem Hof herüberwehte. Hurtige Füße eilten vorbei, Bretter und Platten voller Köstlichkeiten wurden vorübergetragen. Isabella reckte den Hals, um zu erkennen, was die seltsame Unrast ausgelöst hatte. Sie hörte lautes Schwatzen und Lachen der Mägde und Knechte, dazwischen Rufen und auch mal einen Fluch. Zu gern wäre sie hinaus auf den Hof gelaufen, aber ihr trotziger Stolz ließ es nicht zu. Keinesfalls wollte sie vor Martin ihr Interesse zeigen. So stellte sie sich auf die Zehenspitzen, um so viel wie möglich durch das kleine Fenster ihrer Kammer zu erkennen.
Sie stieß einen kleinen Schrei aus, als sie plötzlich in Martins Gesicht blickte, der sich von außen an das Fenster geschlichen hatte.
»Na, neugierig?«, fragte er und grinste breit.
Isabella fühlte zornige Röte in ihr Gesicht steigen. Er hatte sie ertappt, und am liebsten hätte sie ihm dafür eine Ohrfeige verpasst.
»Nicht im Geringsten«, erwiderte sie abfällig. »Was geht es mich an, was auf dieser Burg getrieben wird!«
»Schade, und ich wollte Euch gerade zu einem Fest einladen.« Scheinbar gelangweilt lehnte sich Martin mit der Schulter an die Hauswand und betrachtete aufmerksam seine Fingernägel.
»Ein Fest?«, entfuhr es
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