Der Kuss des Verfemten
die neben ihm auf dem Boden lag. »Ihr habt mir noch immer nicht gesagt, wer Ihr seid.«
Gleichgültig blickte de Cazeville in die dunkle Krone des Baumes über ihm. »Es tut nichts zur Sache. Mein Name sagt Euch nichts. Ich bin ein Wanderer zwischen den Welten.«
»Und was wollt Ihr von mir?«
»Nichts! Ich brauche Euch nicht. Doch Ihr braucht mich!«
»Dass ich Euch um Begleitung gebeten habe, war ein Akt der Freundlichkeit. Ihr habt mir einen Dienst erwiesen, indem Ihr mich auf Isabellas Spur brachtet. Ich bin Euch etwas schuldig.« De Cazeville nickte bedächtig. »Ja, Ihr steht in meiner Schuld. Und eines Tages werde ich sie bei Euch einlösen. Dass ich Euch begleite, hat damit nichts zu tun, genauso gut könnt Ihr den Weg allein fortsetzen.«
Gundram erhob sich. Das Gespräch mit dem Fremden war zutiefst unerquicklich. Und er war genauso schlau wie vorher. Schnaufend warf er sich auf seine Satteldecke und schlief ein. Als er am Morgen erwachte, war der Fremde verschwunden.
*
»Tut mir leid, Ritter Martin, aber ich bediene die Gefangene nicht mehr. Lieber schlachte ich ein Schwein, als dass ich mich von ihr behandeln lasse wie ein Stück Dreck! Sie hat doch eine Zofe!«
Bertha warf den Kopf zurück. Auf ihren Wangen waren noch die Spuren ihrer Tränen zu sehen. Martin schwieg, aber er knirschte mit den Zähnen.
»Ist gut, Bertha, ich habe es zur Kenntnis genommen. Geh an deine Arbeit! Ich werde Isabella den Kopf wieder geraderücken.«
Wütend lief er mit großen Schritten zum Haupthaus. Mit dieser Geisel hatte er sich etwas eingebrockt! Rudolf hatte recht. Je eher sie wieder verschwand, umso besser war es für den Burgfrieden. Dass Isabella Unruhe unter die Leute brachte, war nicht mehr zu übersehen. Selbst Konstanze blickte ihn kaum noch an, weil sie sich vor seiner schlechten Laune fürchtete. Und schlechte Laune hatte er, seit Isabella seine Gefangene war!
Er öffnete die Tür zu Isabellas Kammer. »Was geht hier vor?«, herrschte er sie an. Seine Stimme klang grimmiger, als er eigentlich beabsichtigt hatte.
Isabella zuckte zusammen. Sie saß auf der Kante des Bettes und starrte zu dem winzigen Fenster hinaus, dessen geölte Leinwand sie aus dem Rahmen genommen hatte. Doch gleich hatte sie sich wieder unter Kontrolle.
»Was los ist?«, erwiderte sie ungehalten. »Erst verschwindet meine Zofe, wird entführt und vergewaltigt, dann benehmen sich Eure trampeligen Mägde ungebührlich, da soll ich nicht aus der Haut fahren? Ich will, dass Mathilda wieder zu mir zurückkehrt!«
»Oh, da müsst Ihr sie schon selbst darum bitten. Mathilda ist nicht meine Gefangene. Sie kann tun, was ihr beliebt. Und dass sie entführt und vergewaltigt wurde, halte ich für eine sehr bösartige Unterstellung! Plagen Euch schlechte Träume? Ist Euch die Matratze zu hart?«
Zornesröte überzog Isabellas Gesicht. »Tobt Euch nur an einer wehrlosen Gefangenen aus, Herr Raubritter! Ich kann es nicht fassen, dass aus dem gleichen Mund einst heiße Liebesschwüre kamen. Kann sich ein Mensch wirklich so verstellen?«
»Das frage ich mich auch.« Martin blickte sie nachdenklich an. »Einen Augenblick glaubte ich wirklich, dass Ihr mir gegenüber aufrichtig seid. Ich wäre gern Euer Ritter gewesen, und ich habe Euch Treue geschworen! Und Ihr habt mir Eure Gunst und Euer Herz gegeben.«
»Das war ein Irrtum!«, gab Isabella spitz zurück. »Da wusste ich noch nicht, dass Ihr ein Raubritter seid!«
»Ich fragte Euch, ob Ihr mich auch lieben könntet, wenn ich nicht der strahlende Ritter wäre, der glorreiche Held.«
Isabella warf den Kopf zur Seite. »Darauf werde ich Euch nicht antworten.«
»Weil Ihr Angst vor der Wahrheit habt?«, fragte Martin spöttisch.
»Welche Wahrheit?«
»Dass Ihr mich liebt.«
»Ich Euch lieben?« Isabella lachte schrill auf. »Niemals!«
»Ihr hattet mir sogar Eure Hand angeboten«, erinnerte Martin.
»Wenn Ihr das Turnier gewinnt! Aber Ihr wart zu feige, überhaupt anzutreten!«
»Nicht zu feige. Es lohnte sich nicht zu kämpfen.«
»Lohnte sich nicht?«, fragte Isabella empört.
»Nein! Denn ich bekomme Euch auch ohne Kampf.«
»Was soll das heißen?«
»Ihr seid meine Gefangene!«
Isabella schnaufte. »Bildet Euch nur nichts darauf ein, nur weil ich mich in Eurer Gewalt befinde! Ich bin nicht so einfach zu haben, nur weil Ihr es wollt! Eure kindische Arroganz beeindruckt vielleicht Eure Dienstmägde.«
Martin trat ganz dicht an sie heran. Er spürte es verdammt deutlich, dass sie
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