Der Kuss des Wolfes: Roman (German Edition)
zusammen. »Aber er hat uns so viele verschiedene Bestien geschickt … er kann sie unmöglich alleine versorgt haben, sonst wäre irgendjemandem seine ständige Abwesenheit aufgefallen.«
»Donnock könnte ihm geholfen haben«, meinte Koranen. »Nicht nur beim Ausspionieren der Insel, sondern auch bei der Versorgung seiner Monster.«
Saber schüttelte den Kopf. »Donnock wickelt für Broger die Geschäfte ab und ist ständig auf Reisen. Er hätte gar nicht die Zeit dafür. Meine Vermutung geht in Richtung seines Sohnes – wie heißt dein Vetter doch gleich, Alys? Ich habe seinen Namen vergessen.«
Alys legte ihre Gabel beiseite und erwiderte ruhig: »Barol.«
»Richtig, Barol. Brogers Sohn Barol hätte das übernehmen können«, stellte Saber fest. »Ist dir aufgefallen, ob er jeden Tag zur selben Zeit für eine Weile verschwunden ist?«
Jetzt würgten sie ihre Schuldgefühle so stark in der Kehle, dass sie kaum noch schlucken, geschweige denn essen konnte. Trotzdem antwortete Alys so wahrheitsgetreu, wie sie es wagte: »Er, äh, er hat die Verwaltung von Onkel Brogers Ländereien übernommen, als Onkel euren Familiensitz mit Beschlag belegte.«
»Das war vor drei Jahren«, meinte Evanor nachdenklich. »Er kann es also nicht gewesen sein. Vielleicht einer der Dienstboten?«
Sich innerlich vor Unbehagen windend starrte Alys auf die Tischplatte hinunter und versuchte den Mut für ein Geständnis aufzubringen, während die anderen weitere Vermutungen anstellten. Jeden Moment musste jetzt die Wahrheit ans Licht kommen. Ein vorsichtiges Schielen nach oben ergab, dass ein Augenpaar auf ihrem Gesicht ruhte. Ein Augenpaar, so dunkel und furchteinflößend wie die schwärzeste Nacht, aber voller Verständnis.
»Dir blieb keine andere Wahl, nicht wahr, Alys?«, fragte Rydan sie ruhig. Kein Hauch von einer Anklage schwang in der sachlichen Feststellung mit, trotzdem trafen seine Worte sie wie ein Schlag.
Ein Blick zu den restlichen Brüdern am Tisch bestätigte ihr, dass sie sie voll stummen Entsetzens anstarrten. Nur Morganen musterte sie mitfühlend und ermutigend zugleich. Sabers Augen hatten sich zu schmalen Schlitzen verengt, Evanor blinzelte eher ungläubig als empört … doch für sie zählte nur Wolfers Reaktion. Seine Nasenflügel bebten gefährlich.
Morganen bedeutete ihr mit einem leichten Nicken, die Katze aus dem Sack zu lassen und Rydans Vermutung zu bestätigen. Der Mann an ihrer Seite jagte ihr Angst ein, aber nun war es an der Zeit, mit der Wahrheit herauszurücken. Sie konnte nicht länger lügen; nicht, nachdem sie auf Nightfall so gastfreundlich aufgenommen worden war.
»Nein, ich … ich hatte wirklich keine andere Wahl.« Sie biss sich auf die Unterlippe und wappnete sich für den Sturm, der gleich über sie hereinbrechen würde.
Kräftige Hände krachten auf die Tischkante, sodass die Platte erzitterte. Der Stuhl neben dem ihren wurde zurückgestoßen, als Wolfer aufsprang, zur Tür stürmte, diese mit solcher Wucht aufstieß, dass sie gegen die Wand prallte, und davonstapfte. Alys zuckte zusammen und biss sich noch fester auf die Lippe, bis sie Blut schmeckte.
»So.« Sabers Stimme zerriss die Stille, die nach dem wutentbrannten Abgang seines Zwillings eingetreten war. »Ich nehme an, du legst wenig Wert darauf, uns zu erklären, was genau du getan hast – und vor allem, warum du es getan hast?«
»Mach dich nicht lächerlich, Saber!«, fauchte Kelly. »Sie ist weder ein großer, stämmiger Kraftprotz mit starken Muskeln noch ein mächtiger Magier! Es liegt doch auf der Hand, dass ihr Onkel sie durch Drohungen und wahrscheinlich auch durch Schläge gezwungen hat, alles zu tun, was er von ihr verlangte. Allein der Umstand, dass sie geflohen und ausgerechnet hierhergekommen ist, beweist doch, dass sie es nicht freiwillig getan hat.«
»Warum ist sie dann nicht schon viel früher geflohen? «, wandte Koranen ein. Sein Blick wanderte zu Alys, ein schuldbewusster Ausdruck huschte über sein Gesicht, aber er ließ nicht locker und sah Kelly wieder an. »Es waren immerhin drei Jahre!«
»Und warum hat sie uns nicht schon früher die Wahrheit gesagt?«, warf Trevan ein. Die Frage war an Kelly gerichtet, aber seine grünen Augen ruhten auf Alys, während er sprach.
»Ich wollte nicht, dass ihr mich hasst«, murmelte Alys, dabei wünschte sie, sie könnte mehr Mut aufbringen. Das Selbstvertrauen, das es ihr ermöglicht hatte, Wolfer zu Boden zu werfen, hätte ihr jetzt helfen können, aber es
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