Der Kuss Im Kristall
war zu erkennen, wie überrascht sie war und auch, dass sie sich ein wenig unbehaglich fühlte.
„Mrs. Forbush, vielen Dank für die Einladung heute Abend.“
In der tiefen Stimme mit der leicht schottischen Klangfarbe lag etwas, das Alethea erschauern ließ. Sie drehte sich um und sah, wie der Sprecher sich über Graces Hand beugte und sie an seine sinnlichen Lippen hob. Dunkles Haar fiel ihm bis über die Stirn, und seine Augen waren grau. Als er sich aufrichtete, stellte sie fest, dass er über einen Meter achtzig groß war. Er hatte breite Schultern, ein fein geschnittenes Gesicht und wirkte trotz seiner Schönheit sehr männlich – und auf irgendeine Weise bedrohlich, wie Alethea für sich feststellte. Wieder erschauerte sie.
„Lord Glenross! Gütiger Himmel! Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Sie – ich meine, ich bin entzückt, aber ich hatte nicht zu hoffen gewagt, Ihnen zu begegnen.“
Lord Glenross? Der Mann, über den der gesamte ton in den vergangenen zwei Monaten geredet hatte? Der Mann, der gerade erst aus einem algerischen Gefängnis entkommen war, nachdem er dort sechs Monate lang gesessen hatte und zum Tode verurteilt worden war? Ah, jetzt kannte sie den Grund für seine Ausstrahlung. Und für ihr Unbehagen. Sie wagte sich kaum vorzustellen, was man einem britischen Offizier in einem algerischen Gefängnis alles antun konnte.
Lord Glenross lächelte – zumindest glaubte Alethea, dass es ein Lächeln war. Es hätte aber ebenso gut eine Grimasse sein können. Seine Aufmerksamkeit war noch immer auf Grace gerichtet. „Nicht im Traum wäre es mir eingefallen, mir dies hier entgehen zu lassen.“
„Sie schmeicheln mir, Lord Glenross. Ich war ganz und gar nicht sicher, dass Sie eine Einladung unter den gegebenen Umständen begrüßen würden. Das heißt – ich dachte …“
Alethea konnte nicht aufhören, den Mann anzustarren. Während Grace sich weiter entschuldigte, wandte er sich ihr zu. Er ließ den Blick von ihren Augen über ihren Mund bis zu ihrem Hals wandern und ihn dann auf dem tiefen Ausschnitt ihres rosafarbenen Kleides ruhen. Aletheas Haut begann zu kribbeln. Als er ihr wieder ins Gesicht sah, schenkte er ihr ein Lächeln, bei dem zwei Grübchen in seinen Wangen erschienen, und Alethea konnte kaum noch atmen. Ohne dieses Lächeln wäre es einer Beleidigung gleichgekommen, wie er sie gemustert hatte. Sie wäre vielleicht geschmeichelt gewesen, hätte da nicht etwas Zynisches in seinem Blick gelegen. Als würde er etwas für sehenswert befinden, es aber nicht wertschätzen.
Dann räusperte er sich und schaute wieder zu Grace. „Vielen Dank, Mrs. Forbush, aber es geht mir gut“, meinte er.
Grace lächelte zweifelnd. „Ich bin froh, das zu hören. Wenn ich irgendetwas für Sie tun kann, Mylord, dann sagen Sie es nur.“
Er schwieg so lange, dass Alethea bemerkte, wie genau er seine Antwort abwog – wie er sie innerlich formulierte. Das machte sie neugierig.
Dann zuckte er die Achseln. „Ich hatte Zeit, darüber nachzudenken, Mrs. Forbush, und frage mich, welche Kräfte uns einander über den Weg laufen ließen.“
Fasziniert von der Frage, wohin dieses Gespräch wohl führen mochte, nahm Alethea von einem vorbeigehenden Diener eine Tasse Rumpunsch entgegen und trank einen großen Schluck davon, während sie auf Lord Glenross’ weitere Erklärungen wartete.
„Das Leben ist rätselhaft, nicht wahr? Jeder Vorteil, den man erwirken könnte, wäre da von Nutzen, oder?“
„Ja, ganz meine Meinung“, sagte Grace. „Ich war schon immer der Ansicht, dass Wissen Macht ist.“
„Ich wusste, dass Sie dieser Meinung sind, Mrs. Forbush, und deshalb habe ich Sie aufgesucht, um Sie um Rat zu fragen, wie ich mit einer gewissen Madame Zoe in Kontakt treten könnte. Würden Sie mir in dieser Sache helfen?“
Vor Schreck hätte Alethea sich um ein Haar an ihrem Punsch verschluckt. Besorgt machte Lord Glenross einen Schritt nach vorn.
Grace war schneller und klopfte Alethea auf den Rücken, wobei sie ihr einen verzweifelten Blick zuwarf, ehe sie erwiderte: „Oh, Lord Glenross! Wie sollte ich so etwas wissen?“
„Sie wissen alles, was zu wissen sich lohnt, Mrs. Forbush. Oder Sie wissen zumindest, wie Sie es herausfinden können.“
Endlich kam Alethea zu Atem, und Grace widmete ihre Aufmerksamkeit wieder Glenross. „Nun ja, ich denke, ich könnte mich erkundigen, aber ich muss gestehen, Ihre Bitte erstaunt mich, Mylord. Ich hätte nicht geglaubt, dass Sie zu jenen Menschen
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