Der Kuss Im Kristall
begann zu begreifen, wie sehr er Madame Zoe verabscheute und warum er so entschlossen war, dass ein Zwischenfall wie der in ihrem Salon nie wieder passieren durfte. Seiner Meinung nach war Madame Zoe dafür verantwortlich, dass Maeve sich auf diese unglückselige Reise gemacht hatte, die eine Kette von Ereignissen in Gang setzte, die zum Tode seiner Familie führte, zu seiner Inhaftierung und Folterung und seiner Unfähigkeit, noch einmal zu lieben. Es musste ihn in einen bedrückenden Konflikt gestürzt haben, dem Menschen so nahe gekommen zu sein, den er für all dies verantwortlich machte.
Die Tür des Hauses öffnete sich, und ihre Zielperson hastete heraus, einen Blick über die Schulter werfend. Ehe der Mann auf die Straße trat, schaute er gehetzt nach links und nach rechts, dann eilte er schnell weiter und mischte sich unter die Fußgänger auf der Parliament Street. Als sie Westminster Bridge erreichten, rannte er bereits. Er hatte ihre Anwesenheit bemerkt.
Alethea wusste, sie würde niemals mit ihm Schritt halten können. „Geh“, bat sie McHugh. „Ich komme nach.“
Er zögerte und wirkte so, als wollte er widersprechen. Dann nickte er und folgte dem Mann. Alethea fiel schnell zurück und hatte Mühe, McHugh nicht aus den Augen zu verlieren.
Sie hatte die Brücke zur Hälfte überquert, als sie im Mondlicht die dunklen Umrisse des Fremden erkannte, der etwas in die Themse warf und dann weiterlief. Sie dachte, McHugh würde ihn verfolgen. Dann sah sie, wie er Rock und Hut ablegte und kopfüber in das eiskalte Wasser sprang.
Beinahe blieb ihr das Herz stehen, und sie brüllte aus Leibeskräften: „McHugh!“, doch er konnte sie nicht hören. Sie raffte die Röcke und rannte, so schnell sie konnte, zu der Stelle, wo er eben ins Wasser gesprungen war.
Sie beugte sich über die Brüstung und ließ den Blick suchend über die schwarze Wasseroberfläche gleiten.
„McHugh!“, rief sie wieder. „Wo bist du, McHugh?“
Als keine Antwort erfolgte, spürte sie, wie Angst in ihr aufstieg. Dann glaubte sie, irgendwo eine Bewegung wahrgenommen zu haben, und hätte am liebsten vor Erleichterung geschrieen.
Er war in der Nähe des Südufers gesprungen, und Alethea schnappte sich seinen Hut und seinen Überrock, lief zum Ende der Brücke und auf den Uferdamm, wo eine breite Treppe aus Stein zum Wasser hinunterführte. „McHugh! Wo bist du! Antworte mir! Rob – bitte antworte mir!“
Als Antwort hörte sie nur das Plätschern des Flusses gegen das Ufer. Tränen verschleierten ihr die Sicht. Wie konnte jemand die eisigen Temperaturen des Wassers überleben? Schnell suchte sie nach einem Ruderboot, aber an den eisernen Ringen in der Steinmauer war nichts dergleichen festgebunden. „Hilfe!“, schrie sie, doch der Wind trug ihre Worte davon.
Sie fürchtete, dass die nasse Kleidung ihn auf den Grund des Flusses gezogen haben könnte. „Oh, Rob …“, wisperte sie, sank auf die Knie und barg ihr Gesicht in seinem Überrock. Sie roch seinen Duft, so männlich und würzig, und sie begann zu schluchzen. Er durfte nicht so enden. Das konnte nicht sein. Er hatte zu viele Grausamkeiten überlebt, um dann auf dem Grund der Themse zu sterben.
„Alethea …“Vom Fluss her wehte der Klang einer schwachen Stimme zu ihr.
„Rob?“, rief sie und bewegte sich zum Rand der Treppe.
„Hier!“, antwortete er, keine zwanzig Fuß entfernt. „Ich sehe dich.“
„Rob“, rief sie wieder. „Schwimm auf mich zu. Hier entlang, McHugh. Ans Ufer.“
Sie hörte ein Platschen im Wasser, und einen Moment später tauchte McHughs dunkler Kopf auf.
„Hier, McHugh. Nur noch ein kleines Stück weiter.“
Sie streckte den Arm aus, um seine Hand zu packen und ihn auf die unterste Stufe zu hieven, sobald er nahe genug war. Er war eiskalt und zitterte heftig am ganzen Körper. Sein Gesicht war bleich, und seine Lippen hatten sich blau verfärbt „Ich dachte, du wärest ertrunken“, stieß sie hervor.
Er setzte sich hin und schüttelte das Wasser aus seinen Haaren. „Das dachte ich auch.“
Sie schlang seinen Überrock um ihn, wohl wissend, dass er zweifellos erfrieren würde, wenn sie ihn nicht bald warm und trocken bekam. Sie half ihm auf die Füße und stützte ihn, sodass er die Stufen nach oben bis zur Straße steigen konnte. „He! Kutscher!“, hielt sie einen vorbeifahrenden Wagen an. In diesem Zustand konnte sie Rob nicht in sein Hotel zurückbringen, und zu sich nach Hause konnte sie ihn auch nicht mitnehmen. Es gab
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