Der Kuß von Sentze
auch über andere
Dinge, von denen er früher nicht gesprochen hatte.
Er fragte mich um die Ereignisse des abgelaufenen Krie-
ges, um den Feldherrn, um die Führer, um meine Freunde.
Er lobte meine Handlungsweise und erging sich in den
Folgen derselben. Er sprach mit Hochachtung von meinem
Vater.
Eines Tages zeigte er mir das Innere des Hauses, und
als ich meine Verwunderung aussprach, daß dasselbe so
viele Räume habe, da es doch so unscheinbar aussehe, ant-
wortete er: „Es ist nur unter den großen Granitsteinen so
klein. Ich habe das Haus, das ich die graue Sentze nenne,
zu einer Zeit erbaut, da etwas eingetreten war, das ich
nicht verwinden zu können gemeint habe. Ich habe es aber
verwunden und habe wieder in die Zeit fortgelebt. Das
Haus ist zu manchen Überwindungen gut, und ich habe
es öfter besucht. Alle Dinge, die ich seit meiner Jugend zu
Gutem und Großem unternommen hatte, sind nicht in Er-
füllung gegangen. Ich habe mich gefügt und habe abermals
in die Zeit hinübergelebt. Nur die Naturdinge sind ganz
wahr. Um was man sie vernünftig fragt, das beantworten
sie vernünftig.“
Er gab mir später ein ledernes Täschchen für die Moose,
wie er eines hatte.
So lebten wir wieder eine Weile dahin.
Als ich einmal spät am Nachmittage nach Hause kam,
sah ich innerhalb der Umzäunung eine weibliche Gestalt
zwischen den Steinen stehen. Sie hatte ein Linnengewand
an, das mit einer matten blauen Farbe bedruckt war. Auf
dem Haupte hatte sie einen runden, gelben Strohhut. Ne-
ben der Gestalt stand der Hund meines Vetters. Er war
ruhig und schien sogar freundlich. Aus der Anwesenheit
des Hundes schloß ich, daß mein Vetter in dem Hause sein
müsse. Ich ging daher auf dasselbe zu. Da die Gestalt an
dem Wege stand, mußte ich ihr nahe kommen. Sie wandte
sich um, es war Hiltiburg.
„Du bist da, Hiltiburg“, sagte ich.
„Ja, Vetter, ich bin da,“ antwortete sie, „um meine
Pflicht zu tun. Mein Vater ist in der Einsamkeit, sie haben
mir nichts davon gesagt; ich habe nur seine Rückkehr aus
Ägypten gewußt; ich habe mir aber Kenntnis verschafft
und bin gekommen, bei ihm zu sein, und er hat mein Hier-
bleiben gestattet“
„Ich glaube, du handelst gut, Hiltiburg“, sagte ich. „Es
ist bloß recht“, antwortete sie.
Ich wendete mich zum Gehen, sie blieb mit dem Hunde
an ihrer Stelle zurück.
Ich fand meinen Vetter in dem Pflanzengemache und
übergab ihm meine Ausbeute. Er legte die Pflanzen neben-
einander und sagte dann: „Du bist auf dem Riegelsteine ge-
wesen, ich wüßte nicht, wo diese Dinge sonst vorkommen.“
„Ich bin auf dem Riegelsteine gewesen“, antwortete ich.
„Du hast schon ein gutes Auge,“ sagte er, „wir werden
einlegen und pressen. Hiltiburg ist gekommen und wird
hierbleiben. Wir haben jetzt in dem hölzernen Hause um
zwei Bewohner mehr, um sie und ihre Dienerin.“
„Ich denke, daß sie es mit gutem Grunde tat“, sagte ich.
„So ist es“, antwortete er.
Am Abende saßen um zwei Gäste mehr an unserem
Tische, und zwar um zwei weibliche.
So war es auch beim nächsten Frühmahle.
Dann hörte ich Hiltiburg mit Wilhelm im Hause her-
umgehen.
Nach und nach bemerkte ich, daß es in dem Hause, in
den Gängen, in den Wohnungen und in der Umgebung
reinlicher sei. Zu unseren Speisen gesellten sich nach und
nach Zutaten, und wir hatten morgens Milch, Tee, Kaf-
fee, Butter und kalten Braten, mittags Suppe, Rindfleisch,
Gemüse und noch irgendeine Speise und des Abends die
Speisen wie des Morgens, nur noch einen warmen Braten
dazu. Wenn Walchon von einer Speise zwei Male nahm,
kam sie öfter auf den Tisch. Alle gewöhnten sich an die
neue Ordnung, es wurde nichts mehr darüber gesprochen.
Auch eine Magd kam noch in das Haus.
Ich konnte nicht gleich nach Hiltiburgs Ankunft fortge-
hen, weil es aufgefallen wäre. Ich blieb also da.
Hiltiburg ging immer in einfachen Linnenkleidern, die
mit irgendeiner Farbe und Zeichnung bedruckt waren. Auf
dem Haupte hatte sie stets den runden Strohhut und an
den Füßen starke Stiefelchen. Sie trug auch oft ein graues
Kleid wie ihr Vater, und wenn sie zu einer Zeit im Walde
oder in der Gegend herumging, hatte sie auch ein Leder-
täschchen um ihre Schultern hängen. Man sah sie öfter,
und nach und nach immer länger, mit ihrem Vater gehen.
Wenn es spät Abend wurde, oder auch selbst in der Nacht,
hörten wir die Töne ihrer Harfe aus ihrem Zimmer.
Ich sprach nun öfter mit
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