Der Kuß von Sentze
Hut ab und setze dich zu meiner
Rechten.“
Wir legten die Hüte auf ein Nebentischchen, er setzte
sich an das obere Ende des Speisetisches und ich setzte
mich rechts von ihm an die Langseite desselben.
Sogleich wurde auch das Mahl hereingetragen. Ein
kleiner alter Mann, den ich nicht kannte, brachte auf ei-
ner Schüssel Rinderbraten. Dann brachte er eine Flasche
mit Wein und eine mit Wasser. Hierauf setzte er sich sel-
ber an den Tisch. Ein Mann in mittlerem Alter, ganz weiß
gekleidet, kam herein und setzte sich zu uns. Das nämli-
che tat der alte Wilhelm. Wir fünf Männer verzehrten nun
den Rinderbraten und aßen gutes Roggenbrot und tranken
Wein und Wasser dazu. Der Hund bekam seine Nahrung
von unserem Tische in einem irdenen Trog, der auf der Erde
stand. Diese eine Speise war das Mittagmahl gewesen.
Nach dem Essen sagte der Vetter zu mir: „Hier ist Wil-
helm, der Seneschall unserer Waldburg, hier ist Adalo, der
Koch, und hier Dietrich, der Truchseß. Das ist die Besat-
zung. Sie wird dir von manchem Dienste sein, wenn du es
bedarfst. Von Menschen ist sonst nichts hier. Der Hund
Witun ist unser Wächter und Beschützer, die zwei Saum-
pferde bringen uns den Bedarf und die paar Kühe geben
uns Milch. Das sind die Tiere, die wir hegen. Die andern
sind freiwillig da: die Käfer, Fliegen, Eidechsen, Falter,
Mäuse. Du wirst alles und den Brauch dieses Hauses ken-
nenlernen. Jetzt trennen wir uns, und pflege jeder seiner
Zeit.“
Er nahm seinen Hut, grüßte mit der Hand und entfernte
sich mit dem Hunde aus dem Speisegemache. Ich nahm
gleichfalls meinen Hut und folgte ihm. Ich sah ihn in das
Pflanzenzimmer gehen, und ich ging in das Birkenzimmer.
Wohin sich die andern begaben, beachtete ich nicht.
Ich setzte mich in meinem Zimmer auf einen Stuhl
und blickte eine Zeit durch das Fenster auf den entfernten
Wald, der im Mittage stand.
Als ich dann meinen Vetter mit seinem großen Hunde
durch die Verzäunung hinausgehen sah, erhob ich mich,
verließ gleichfalls mein Zimmer und das Haus, und weil
ich nicht wußte, wen ich um mein Ränzlein schicken
sollte, ging ich selber nach Sonnberg hinunter und nahm
dort einen Mann, der es mir herauftrug. Ich brachte dann
meine Habseligkeiten in dem Birkengemach unter. So war
der Tag vergangen. Gegen den Abend wandelte mein Vet-
ter mit seinem Hunde wieder durch die Gesteine herein.
Als die Sonne untergegangen war, holte mich Dietrich
zum Abendessen. Es bestand aus einem kalten Rehbraten
und wie am Mittage aus dieser einzigen Speise. Der Hund
aß wieder neben uns auf der Erde. Nach dem Essen sagte
mein Vetter eine gute Nacht, die andern taten desgleichen,
und man zerstreute sich. Ich ging in mein Zimmer, las
noch lange in einem meiner Bücher und legte mich erst
zur Ruhe, als schon die tiefe Nacht unter all diesem Ge-
steine war.
Beim Aufgange der Sonne holte mich Dietrich zum
Frühmahle. Dasselbe bestand aus Milch und Brot. Da
es vorüber war, verließen wir wieder das Speisezimmer.
Ich blieb zwei Stunden in meinem Gemache und las und
schrieb. Dann kleidete ich mich sorgfältig an und stattete
meinem Vetter den ersten Besuch ab. Er schien mich er-
wartet zu haben; denn er war besser gekleidet als gestern
und war noch in seinem Zimmer. Er saß vor einem Tische,
auf dem er einige Hände voll Moose hatte, und suchte in
ihnen herum. Er stand auf, da ich hereingekommen war,
führte mich zu dem Ruhebette, lud mich mit der Hand
zum Sitzen ein, und da ich es getan hatte, setzte er sich
zu meiner Linken. Der Besuch war kurz, wir sprachen von
allgemeinen Dingen, und ich entfernte mich wieder. Nach
einer Stunde kam er sehr schön gekleidet zu mir und blieb
einige Augenblicke da.
Die feierlichen Ankunftsbesuche waren nun abgetan,
und der Vormittag war bald vorüber.
Nach dem Mittagessen ging ich in die Umgebungen des
Hauses. In der Nähe konnte man in gebrochenen Richtun-
gen zwischen den Steinen durchgehen, weiter rückwärts
hätte man sie übersteigen müssen, und an dem Giebel
hätte wohl kaum der geschickteste Kletterer emporkom-
men können. In der entfernteren Richtung gegen Abend
lagen sie loser, und es kamen Erlengebüsche, Wachhol-
der- und Haselgesträuche. In den Wäldern, die gegen
Mitternacht emporgingen, waren sie auch zerstreut, und
zwischen ihnen standen die hohen Bäume empor, und es
waren unzählige Moose und schöne Farrenkräuter.
Gegen den Untergang der Sonne kehrte ich wieder in
das Haus
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