Der Kuß von Sentze
diese Freiheit zu fördern
und ihr einen Weg in das Staatsleben zu bahnen, daß sie in
ihrer Schönheit erblühe. Wie lange es bis dahin dauern wird,
weiß ich nicht. Die meisten derer, die jetzt nach Freiheit
rufen, sind noch in den Banden ihrer Gier nach Herrlichkeit,
Nutzen und Gewalt und sind gegen die Unterdrückung Un-
terdrücker, wie der Dichter vor langem gesagt hat: ‚Um den
Vorteil der Herrschaft stritt ein verderbtes Geschlecht, nicht
würdig, das Gute zu schaffen.‘ Bei uns tut es not, daß das
Reich nicht wanke, und wenn es fest steht, dann mögen in
ihm die rechten Männer den Pfad der Freiheit suchen und
wir vorerst dazu die rechten Männer finden. Weil ich aber
in den Rat nicht tauge, gehe ich zu dem Feldherrn, der jetzt
das Reich vertritt, und diene ihm. Ich werde ohne Abschied
von hier fortgehen, und einmal nach einer finsteren Nacht
nicht mehr da sein. Der Herr Verwalter wird zum Öffnen
des Pförtchens die Stunde wissen und sie nicht verraten.“
„Nein, nein, das darf nicht sein,“ rief die Base, „du mußt
Lebewohl sagen.“
„Das führt zu Weitläufigkeiten oder Rührungen und
Störungen,“ sagte ich, „so etwas muß frisch getan sein,
und einmal komme ich und sage: ich bin da. Endlich kann
mich zu einem Abschiede niemand zwingen, wenn ich kei-
nen nehme.“
Man stritt noch mit halbem Willen fort und gab es mit
halbem Willen zu.
Dann kam das Gespräch erst recht auf meine Worte
und wurde mit Lebendigkeit über Freiheit, Staatswohl,
Volksvertretung, Regierungsart und derlei Dinge geführt.
Alle beteiligten sich daran, nur Hiltiburg nicht.
Wir gingen spät in der Nacht auseinander.
Ich machte nun bald Anstalten zur Abreise.
Ich sagte am Abende vor der dazu bestimmten Nacht
dem Verwalter die Stunde, in der er mir die Pforte offen
halten sollte. Christoph trug zu dieser Stunde meinen
Mantelsack hinab, um ihn auf das Bauerwägelchen zu la-
den, das ich vor das Schloß bestellt hatte. Ich folgte ihm
dann. Ich ging mit unhörbaren Schritten, daß ich niemand
erwecke, über den finsteren Gang. Da streifte etwas an
mich wie ein Frauenkleid, zwei weibliche Arme umschlan-
gen mich, und plötzlich fühlte ich einen Kuß auf meinen
Lippen. Dieser Kuß war so süß und glühend, daß mein
ganzes Leben dadurch erschüttert wurde. Die Gestalt wich
in die Finsternis zurück, ich wußte nicht, wie mir war, und
eilte auf dem Gange fort, über die Treppe hinab, durch das
geöffnete Pförtchen hinaus, auf dem Wagen zur Post, auf
dem Postwagen in der Richtung nach meinem Reiseziele
dahin und konnte den Kuß nicht aus dem Haupte bringen.
Ich bin später bei Wachtfeuern gewesen, auf der Vorwacht
in der Finsternis der Nacht, auf wüsten Lagerplätzen, in
Regensturm und Sonnenbrand, in schlechten Hütten und
in schönen Schlössern, und immer erinnerte ich mich des
Kusses und dachte, welches der Mädchen mußte das Unge-
wöhnliche getan haben. Das erkannte ich, daß der Kuß ein
tiefes Geheimnis sein sollte, ich forschte nicht und sagte
keinem Menschen ein Wort davon.
Der alte Feldherr hatte mich sehr freundlich aufge-
nommen und mich zu seinen Männern eingeteilt. Ich fand
alte Bekannte und erwarb neue, und Kameradschaft und
Freundschaft erneuerte sich und gründete sich. Was auch
einer für eine Muttersprache redete, wir fragten nicht dar-
nach, Deutsch konnte ein jeder, und in der deutschen Spra-
che, gut oder schlecht, selten nach der Schrift, sondern
meist nach der Landessitte des einzelnen, plauderten wir
und schlossen den Bund, in Not und Tod miteinander zu
gehen. In den Gefilden, die ich einmal, da sie ruhig und
blühend waren, durchwandelt hatte, war nun der Krieg
und mancherlei Elend und Verwirrung. Aber für uns ka-
men immer günstigere Tage. Wir gingen vorwärts und vor-
wärts, der Ehrenglanz der Waffen wuchs, eine Tat gelang,
die zweite wurde gewagt, und nach vielerlei Ereignissen
und mancher Unterbrechung kam der letzte Sieg, der den
Frieden brachte.
Meine Absicht war nun zunächst erreicht, ich verab-
schiedete mich auf Zeit und Wiederbedarf, ließ ein Stück
meines Herzens bei den Freunden und trug das andere
über die Alpen in die Heimat zurück.
Ich ging nicht in das Steinschloß, obwohl es in meiner
Richtung lag, sondern zu meinem Vater in die weiße Sentze.
Er begrüßte mich sehr liebevoll und sprach in der er-
sten Zeit gar nicht über die Vergangenheit.
Ich fand ihn in voller Arbeit. Er vergrößerte den
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