Der Kuss
Detektivin, und sie war erfahrungsgemäß recht gut darin. Michael spürte, wie seine Wangen verräterisch erglühten.
„Du hast Alkohol getrunken!“, war das nächste Detail, das sie sich selbst aus der Nase zog.
„Nur ein Bier“, murmelte Michael. „Aber das erlaubt der Gesetzgeber mit Siebzehn!“, verteidigte er sich in aufmüpfigem Tonfall.
„Ich nicht!“, schnappte sie empört und zog ihre Lippen zu einem engen Strich, lehnte sich mit ernster Miene zurück. „Deine Freundin wird mir langsam unsympathisch. Sie verleitet dich zum Trinken und Rauchen!“ Hatte sie gerade eben etwas gegen Lukas gesagt?
„Nein, tut er …
sie
– nicht! Ich bin alt genug, selbst zu entscheiden, was ich mache!“, fuhr Michael seine Mutter an und warf die Gabel klirrend auf den Teller.
Sie zuckte zusammen und starrte ihn an. So war ihr Michael noch nie gekommen. Sicher, es hatte schon heftigere Diskussionen gegeben, er hatte sie auch mal angeschrien, aber nie hatte er diesen Ausdruck auf seinem Gesicht gehabt: entschlossen, wild und bereit, sie aus seinem Leben zu stoßen. Erstmals schien ihr zu dämmern, dass sie als enge Bezugsperson bereits auf dem Abstellgleis stand.
„Wie redest du denn mit mir?“, klang sie wehleidig und glupschte ihn anklagend an.
„Ich bin kein Baby mehr“, maulte Michael mit schlechtem Gewissen. Verdammt, ihre Märtyrermasche zog immer noch. Schlimmer: Sie baute sie auch noch weiter aus, sah mit glasigem Blick auf das Tischtuch, zupfte unsichtbare Fasern heraus und klagte:
„Du rauchst, du trinkst, du behandelst deine Mutter wie Dreck – was soll ich denn da denken? Vor ein paar Wochen warst du noch ein lieber, zuvorkommender Junge, aber jetzt – du stinkst und verhältst dich unflätig! Ich mache mir eben Sorgen.“
„Tut mir leid, Mama, aber dass ich erwachsen werde wirst du nicht verhindern können“, erklärte Michael beherrscht, kratzte angesäuert über das Tischtuch und wünschte sich, er läge noch in Lukas' Armen, würde sich dieses nervige Gespräch ersparen.
„Aber du bist doch erst Siebzehn!“, raunte sie.
„Ja, in dem Alter hattest
du
schon ein Kind!“, rutschte ihm heraus. Er brach bereits zum zweiten Mal an diesem Tag das Tabu, über die Umstände zu sprechen, unter denen seine Eltern ihn bekommen hatten. Sie starrten sich zutiefst betroffen an, zogen sich dann in ihre Schutzwinkel zurück.
„Genau
das
will ich dir ersparen“, murmelte sie schließlich leise und mit gebrochener Stimme. „Du sollst es besser haben,
klüger
sein, dir das Leben nicht so früh verbauen.“
„Verbauen? Ich hab dir also das Leben verbaut?“, fragte Michael bestürzt.
„Wenn du es genau wissen willst – Ja!“, Sie blickte ihn nun direkt an, und in Michaels Ohren begann das Blut zu rauschen. „Ich bereue nicht, dass ich dich habe, aber es hätte gut und gerne zehn oder fünfzehn Jahre später sein können“, fügte sie in versöhnlichem Tonfall hinzu.
Automatisch, er wollte es nicht bewusst, rechnete Michael nach. Dann wäre er jetzt sieben oder gar nur zwei Jahre alt – Lukas aber immer noch Siebzehn. Er wäre für ihn nichts weiter, als ein nerviges kleines Kind. Sie wären nie zusammen gekommen. Der Gedanke war lähmend.
„Keine Sorge“, knurrte er, „Ich werde nie Kinder haben. Ich werde mir
mein
Leben damit
nicht
verbauen. Jetzt nicht und in zehn oder fünfzehn Jahren auch nicht! Zufrieden?“ Michael sprang auf, verzog kurz das Gesicht als er das Brennen in seinem Hintern spürte, und ruckelte wütend am Stuhl.
„Ach, Michael, so war das doch gar nicht gemeint. Sei nicht kindisch und setz dich wieder!“ gurgelte seine Mutter und blinzelte ihn freundlich an.
„Wozu?“, rief Michael, „Damit du mir mein, meine … das alles kaputt redest?“
„Das war nicht meine Absicht, Schatz, aber zu erzählst mir ja auch gar nichts, was soll ich denn da bloß denken, hm?“, beschwichtigte sie, schob den Stuhl einladend zurecht und klopfte auf den Sitz.
Michael fühlte sich hin- und her gerissen. Er wollte am liebsten in sein Zimmer flüchten und in den Eindrücken des Nachmittags schwelgen. Andererseits hatte er ein chronisch schlechtes Gewissen seiner Mutter gegenüber. Es war nicht sein Ziel, den wunderschönen Tag mit einem Streit zu beenden. Widerwillig und vorsichtig setzte er sich.
„Hast du Schmerzen?“, fragte seine Mutter, der offenbar wirklich nichts entging. Michael bereute bereits sich entschieden zu haben, doch noch ein Weilchen zu bleiben und
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