Der Kuss
hatte. Jetzt war die Lust weg, der Schmerz aber war geblieben. Es brannte, und war eine Erinnerung daran, wie nahe er Lukas gewesen war: So nah, wie es zwei Kerlen nur möglich war. Trotzdem, Michael konnte sich gut vorstellen das öfter zu tun, sehr oft sogar. Nicht jetzt sofort, er würde das alles erstmal verdauen müssen, aber dann. Morgen vielleicht …
„Und für dich?“, fühlte sich Michael bemüßigt zu fragen. Irgendwie hatte er sich bisher mehr Gedanken darüber gemacht wie es sein würde, jemanden in sich zu spüren, als in jemanden einzudringen. Seine Fantasie versuchte ihm ein Bild davon zu vermitteln, wie er sich Lukas' Hintern annäherte. Es endete stets damit, dass sein Freund ihn empört durchs Zimmer schleuderte, noch ehe es richtig interessant werden konnte.
„Auch gut“, brachte Lukas cool hervor und betrachtete die Glut der Zigarette. Michael entging nicht, dass sich bei der beiläufigen Behauptung der Schwanz seines Freundes regte.
„Gut“, summte Michael betont gleichgültig. Bloß nicht zeigen, wie aufgewühlt er war. Bloß nicht zeigen, dass das der aufregendste Nachmittag seines bisherigen Lebens gewesen war.
Die asoziale Ludmilla
„Na? Wie war's?“, fragte Michaels Mutter als er abends heim kam. Obwohl er versucht hatte leise zu sein, stand sie bereits im Flur, noch ehe er die Wohnungstür hinter sich zudrücken konnte. Sie hatte ihm offenbar aufgelauert.
„Schön“, grinste Michael errötend. Bilder schossen in sein Bewusstsein: Lukas, der ihn von hinten umklammerte – tief in ihm steckte und in sein Ohr stöhnte. Michael musste dämlich grinsen, dabei hatte er sich nichts anmerken lassen wollen.
„Hast du Hunger? Ich hab dir was kalt gestellt“, trällerte sie und wartete nicht ab bis Ihr Sohn zusagte. Michael war sogar mächtig hungrig und folgte ihr in die Küche, wo bereits die Mikrowelle vor sich hin summte.
Seine Mutter wusste nicht, dass er zu dem Nachbarn rüber gegangen war, glaubte, er habe sich irgendwo in der Stadt mit seiner
Freundin
getroffen. Offenbar hatte sich seine Mutter den Nachmittag damit vertrieben sich vorzustellen, ihr Sohn liefe händchenhaltend mit einem hübschen Mädchen durch die Fußgängerzone, und das Unanständigste, das die beiden machen würden, wäre, zusammen an einer Tüte Eis zu lecken.
Michael langte nach einem Glas, und unaufgefordert holte seine Mutter eine Packung Orangensaft aus dem Kühlschrank, stellte sie energisch auf den Tisch. Wenn sie wüsste, dass er heute zwei Dosen Bier getrunken hatte, würde sie ein Klagelied über Alkoholmissbrauch anstimmen.
Die Mikrowelle gab ein piepsendes Geräusch von sich und schon klapperte die Schublade mit dem Besteck. Sekunden später stand der dampfende Teller bereit, daneben eine Serviette und eine Gabel. Seine Mutter setzte sich ungeduldig hin und klopfte einladend auf die Tischplatte.
„Setz' dich, Michael, du musst mir alles ganz genau erzählen!“, forderte sie mit gierigem Blick und musterte ihren Sohn eindringlich, der sich – vorsichtig – auf den Stuhl setzte.
„Da gibt es nichts zu erzählen“, betonte Michael und fuhr mit der Gabel über den Teller. Oh Mann, wollte sie jetzt die ganze Zeit daneben sitzen und ihm beim Essen zusehen? Er warf ihr einen kurzen Blick zu. Nein, mit zusehen würde sie sich nicht begnügen.
„Ein Gentleman genießt und schweigt, was?“, grinste sie und setzte ihren Röntgenblick auf. „Du siehst irgendwie verändert aus“, stellte sie fest und zupfte an seinem Haar. Dabei neigte sie sich etwas zu ihm rüber. Irritiert hielt sie inne und schnüffelte. Ihre Synapsen glühten auf Hochtouren, auf ihrer Stirn entstanden Falten. Sie beugte sich näher zu ihrem Sohn und schnupperte an seiner Schulter.
Michael zog den Kopf ein und konzentrierte sich aufs Kauen.
„Hast du geraucht?“, fragte sie schließlich und rümpfte die Nase. Michael fiel ein Stein vom Herzen. Er hatte befürchtet, sie würde Sex riechen. Auch wenn seine Mutter nicht glücklich sein würde, so war ihm diese Unterstellung zunächst bei weitem lieber.
„Wir waren in einem verrauchten Lokal“, erklärte er rasch und schob sich einen Bissen in den Mund.
„In allen Lokalen gibt es mittlerweile Nichtraucherabteile. Nutze die in Zukunft!“, mahnte sie und fixierte ihren Sohn eindringlich.
„Okay“, Michael zuckte mit den Schultern. Ihr Blick zersetzte seine Zellen, so intensiv ruhte er auf ihm, wanderte prüfend an ihm auf und ab. Jetzt war sie ganz
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