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Der Kuss

Der Kuss

Titel: Der Kuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kooky Rooster
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Meter weiter weg, tat unbeteiligt, als wäre sie eine Fremde, und konzentrierte sich auf die Regenwolken. Die Hitzewelle war seit zwei Tagen vorbei, immerhin, aber es hatte noch nicht geregnet. Die Meteorologie war ein interessantes Fachgebiet, es gab ja für jede Wolkenformation eigene Namen. Da Michael sehr effizient mitten im Weg stand, wurde er dauernd von jemandem gerempelt.
    „Jetzt komm schon her, Michael, was sagst du zu diesen hier?“, rief seine Mutter und hielt in jeder Hand eine dicke Packung Socken, mit denen sie wild herum fuchtelte. Möge die Erde ein Loch auftun und Michael darin versinken lassen! Kopflos, mit hochroten Wangen, stolperte er auf sie zu.
    „Nicht so … laut!“, knurrte er dabei, und ließ die Augen flink hin und her gleiten, als bereite er sich auf eine geheime Verschwörung vor.
    „Mi… !“, quietschte seine Mutter und riss alarmiert die Augen auf. Im allerletzten Augenblick konnte er einen Zusammenstoß mit Lukas verhindern. Wie in manchen Filmen, wo die Helden in Zeitlupe Patronen im Flug auswichen, schlängelten sich auch Michael und Lukas aneinander vorbei. Ein Moment, der sich ausdehnte und dann doch zu schnell vorbei war. Ein Augenblick der Stille, der nun bewusst machte, wie laut es hier eigentlich war.
    Dem ersten Schreck folgte das Lächeln der Erleichterung, und dieser freundliche Blick, den sie füreinander – unabsichtlich – hatten, war so unendlich schön. Es knisterte regelrecht, doch dann erinnerten sie sich, dass sie böse aufeinander waren und schauten grimmig drein, enttäuscht, verletzt, traurig. Die Luft zwischen ihnen war zum Schneiden. Wie Magneten, die einander gleichermaßen anzogen und abstießen.
    Als wäre nichts passiert setzte Lukas seinen Weg fort und Michael widmete sich den Socken, als habe er im Leben noch nichts Faszinierenderes gesehen. Verstohlen sah er dann aber doch seinem Freund hinterher, wie der in der Masse verschwand. Die Bewegungen seiner Mutter wurden hastig, sie setzte dem Verkäufer gegenüber einen Befehlston auf und hetzte fortan von Stand zu Stand, warf überall nur einen flachen Blick drauf. Sie schien sich viel mehr auf die Besucher zu konzentrieren, als auf das Angebot.
    Als sie Michael plötzlich zu geblümten Arbeitsschürzen bugsierte, ebensolche, wie seine Großmutter trug, und davon faselte, wie ungemein praktisch diese Dinger seien, ahnte er, dass sie ihn von Lukas ablenken wollte. Der schlenderte eben hinter ihnen vorbei. Michael tat so, als merke er das nicht, nahm die mit Abstand biederste Schürze vom Ständer und hielt sie vor den Körper seiner Mutter.
    „Diese hier passt
wunderbar
zu dir, sie unterstreicht
phänomenal
deinen reaktionären Typus!“, säuselte er und versuchte dabei so tuntig zu klingen, wie nur irgend möglich.
    Anstatt etwas zu sagen schnaubte seine Mutter nur beleidigt, schlug ihm auf den Hinterkopf und wandte sich dem nächsten Stand zu.
    Panflöten, Poster mit Motiven von Hanfblättern, regenbogenfarbene Batik-Hemden und Wasserpfeifen. Der Verkäufer, ein Typ mit Dreadlocks bis zur Hüfte und einem – mit einem Tuch um den Bauch gebundenen – Baby, diskutierte gerade engagiert mit einem Kerl. Qualmende Räucherstäbchen verwandelten die ganze Umgebung zu einer Todesfalle für Asthmatiker. Nie hatte Michaels Mutter bisher Interesse an derartiger
'Kultur'
gezeigt, nun demonstrierte sie, dass sie lange nicht so altbacken war, wie ihr Sohn ihr unterstellte.
    „Wie wäre es mit dieser hübschen
Blumenvase?“,
schlug Michael vor, und zeigte grinsend auf eine formschöne Bong aus Glas.
    „Halt mich nicht für blöd“, zischte seine Mutter, „Ich bin lange nicht so naiv, wie du denkst – ich hatte es in meiner Jugend faustdick hinter den Ohren.“
    „Richtig!
Du
warst das, die mit siebzehn schwanger wurde“, ätzte Michael.
    „Wage es nicht!“, schlug seine Mutter einen drohenden Ton an.
    „Sonst?“ Michael stemmte provozierend seine Fäuste in die Hüften – und erstarrte. Erst jetzt sah er, dass der Typ, mit dem der Verkäufer diskutierte, Ronny war. Rasch drehte er sich zur Seite, neigte sich konzentriert über irgendwelche Ringe, deren Steine angeblich Gefühlsregungen farblich anzeigen sollten, und schob sich langsam immer weiter hinter ein paar bunte Seidentücher und Leinenschals.
    „Ganz recht, zieh nur den Kopf ein“, gab seine Mutter triumphierend von sich.
    Michael belauschte, was die beiden Männer so eifrig diskutierten.
    Es ging um die essentielle Rolle, die ein

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