Der Kuss
Vater beim Heranwachsen von Kindern spielt. Laut Verkäufer würde ein Kind, das keine Beziehung zu seinem Vater aufbauen konnte, nicht fähig sein, ein Leben in Selbstbehauptung zu führen. Frauen, mit ihrer defensiven Haltung und dem Hang zu Sicherheit, beeinträchtigten den natürlichen Forscherdrang des Kindes und machten es ängstlich und lebensuntüchtig. Der Vater sei zuständig dafür, dass das Kind seinen Weg fände, mutig und stark würde, und sich den Herausforderungen der Welt stellen konnte.
Der Kerl hatte recht, fand Michael, und fühlte sich sofort um seinen Vater betrogen und darum, stark und mutig zu sein.
„Wie können Sie nur so etwas behaupten!“, mischte sich auf einmal seine Mutter ein. Michael schlug sich mit der Faust gegen die Stirn und summte ein verzweifeltes Mantra mit den Worten:
„Nein, nein, nein, nein …“
„Ich bin
zufällig
alleinerziehende Mutter, und mein Sohn ist
durchaus
lebenstüchtig und kann sich behaupten. Ihm fehlt rein gar nichts, um sich den Herausforderungen der Welt zu stellen, nicht wahr, Michael?“, sie wandte sich, mit stolzgeschwellter Brust und Hektikflecken im Gesicht, ihrem Sohn zu, der sich – geduckt wie Draculas devoter Gehilfe Renfield – unter den bunten Tüchern hervor wand, so rot im Gesicht wie Ketchup.
Ronny brach in schallendes Gelächter aus. Er warf dabei den Kopf zurück, hielt sich den Bauch, und legte dann eine Hand auf die Schulter von Michaels Mutter.
„Nichts für ungut, Madame.“ Er schüttelte sich weiterhin vor Lachen. Michaels Mutter schleuderte den Arm von sich, schnaubte wütend und wandte sich an ihren Sohn.
„Michael, sag schon. Sag, dass dir nichts fehlt und du dich durchaus selbst behaupten kannst!“ Ronny prustete erneut los. Michael wollte sterben.
„Hören Sie auf, Lady, ich kann nicht mehr“, brach Ronny weg und wischte sich Tränen aus den Augenwinkeln. „Sie gefallen mir, Sie haben Humor“, erklärte er und schüttelte amüsiert den Kopf, dann wandte er sich an Michael:
„Na komm schon, Kleiner,
behaupt
e dich.“
Michael reagierte auf diese Provokation schlagartig mit Wut. Er ballte seine Fäuste, und wenn er nun rot war, dann nicht mehr vor Scham. Ronny musterte ihn belustigt, registrierte die Anspannung seines Gegners.
„Na komm, kleiner Michael, mach deine Mama stolz!“, foppte Ronny, als spräche er mit einem Kleinkind oder einem Hund, und klopfte dabei ermutigend auf seine Oberschenkel. Da sah Michael rot, und seine Faust zuckte so spontan nach vorn, dass er es selbst gar nicht richtig mitbekam. Ebenso rasch wurde sein Arm schmerzhaft auf den Rücken gedreht, ein zweiter Arm legte sich vorne quer um seine Schultern und schnürte ihm den Atem ab. Eingekeilt in Ronnys festem Griff konnte er sich keinen Millimeter bewegen.
„Nicht so hastig, mutiger kleiner Mann!“, raunte Ronny seinen heißem Atem in Michaels Ohr. Entfernt und wie durch dichten Nebel bekam Michael mit, dass seine Mutter an Ronnys Arm zerrte und irgendetwas fluchte.
„Hey, lass gut sein, Mann“, forderte der Verkäufer in einem so ruhigen Tonfall, als sage er,
'nicht umschalten, die Sendung über den kippenden Reissack in China ist voll interessant'
. Ronny entließ Michael tatsächlich aus seinem groben Griff, doch ehe er ihn ganz frei gab, packte er ihn unsanft am Oberarm und flüsterte, so, dass es sonst niemand hören konnte:
„Wenn du Lukas noch länger verarscht, brech' ich dir beide Arme und Beine!“, damit schubste er Michael von sich und klopfte die Kleidung ab, als wäre sie durch ihn staubig geworden. Sofort zupfte Michaels Mutter an seinem Shirt und seinen Haaren herum und klagte:
„Hat er dir wehgetan?“
Michael schleuderte ihre Arme von sich und grunzte wütend.
Wer
hatte ihn denn in diese Bredouille gebracht? Sie reagierte sofort sichtbar verletzt.
„Was hat er zu dir gesagt? Hat er dich bedroht?“, wollte sie wissen und lief hinter Michael her, der mit raschen Schritten den Heimweg antrat.
„Nichts“, brummte er,
'Zuviel'
,
dachte
er.
Was hatte Ronny gemeint? Wie kam er zu dieser gestörten Behauptung,
er
verarsche Lukas? Hieß das, der Typ wollte ihm Arme und Beine brechen, wenn Michael sich auf keinen Dreier einließ? Und
das
sollte
liebevoll aber schwierig
sein? In Michael stieg Übelkeit auf. Er hatte Angst. In welche Sache war er da hinein geraten? Er traute Ronny zu, dass er ihm wirklich alle Knochen brach, aber mit ihm ins Bett – Himmel – von ihm vielleicht sogar gefickt werden? Hieß
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