Der Kuss
das, wenn ihm an gesunden Knochen lag musste er das perverse Spiel mitmachen? Aber – Michael hatte sich doch nur ganz unschuldig in seinen Nachbarn verliebt, mit dem er wochenlang Computerspiele gezockt hatte. Wie hatte es passieren können, dass aus einem harmlosen Kuss so eine Scheiße entstand?
Als er am Parkplatz vorbeikam, wo vor dem Bierzelt Tische und Bänke aufgereiht waren, entdeckte er dort auch Lukas. Dieser schob Lu, die dort saß und Pommes in sich rein stopfte, einen Pappbecher hin.
Wutentbrannt, das Adrenalin durch die Rangelei mit Ronny tobte noch immer durch seinen Körper, steuerte Michael auf ihn zu. Als Lukas ihn entdeckte, huschte tatsächlich ein kleines Lächeln über sein Gesicht, ehe er sich erinnerte, dass sie einander aktuell nicht wohl gesonnen waren. Auch Michael merkte, dass seine erste Reaktion, als er Lukas in die Augen sah, alles andere als Zorn war. Doch rasch dröhnte wieder Ronnys Drohung durch seinen Kopf, und als er direkt vor seinem Freund stand presste er seine Lippen zusammen und zischte:
„Du perverses Schwein!“
Nie würde er Lukas' Gesichtsausdruck vergessen. Die Freude, dass Michael sich herabgelassen hatte mit ihm zu Sprechen, die bodenlose Enttäuschung darüber, was er dann sagte. Michael schossen Tränen aus den Augen sobald er Lukas hinter sich gelassen hatte, und die Kraft wich aus seinem Körper. Er schleppte sich bis zur Haustür, ließ seine Mutter aufsperren und hatte das Gefühl, die sieben Stockwerke würde er in seinem Leben nie erklimmen können.
Klärende Gespräche
Dass Michaels Mutter am Abend drauf bestand, sich etwas von
'unten'
zu holen, klang zunächst nicht einmal schlecht. Pommes, statt gedünstetes Gemüse und Reis, dagegen
konnte
er gar nichts haben.
Vielleicht hatte sie ein bisschen ein schlechtes Gewissen, weil sie die Situation mit Ronny provoziert hatte und versuchte, es mit Junk Food wieder gutzumachen. Wäre nicht das erste Mal, dass sie es auf diesem Weg versuchte. Meist sogar mit Erfolg, wie Michael zugeben musste. Wurde Bestechlichkeit zu einer edleren Tugend, wenn man damit seine Mutter glücklich machte? Und – hätte ein Vater diesen Charakterfehler auch gefördert?
Nun, der Haken an der ganzen Versöhnungs-Junk-Food-Sache war der, dass sie das fettige Zeug nicht holen wollte. Hatte sie vergessen, dass da draußen lauter Perverse lauerten, die ihrem Sohn die Knochen brechen wollten, wenn er sich von ihnen nicht ficken ließ? Offenbar nicht. Woher auch?
„Ich finde gedünsteten Brokkoli
prima!“,
schlug er schließlich vor, aber das zog nicht. Seine Mutter
wollte
sich am Imbissstand etwas gönnen.
Sie
hatte keinen Bock auf Gemüse und Reis, sondern auf etwas Deftiges, fetttriefend und salzig.
„Lass uns gemeinsam runter gehen“, schlug sie schließlich vor. Damit sie ihn erneut blamierte? Die Chance, dass Lukas, Lu und Ronny unten waren, war relativ hoch. Die Katastrophe war vorprogrammiert.
„Okay, ich geh schon. Was kann ich dir mitbringen?“, ließ sich Michael erweichen. Was auch immer ihn da unten erwartete, es war besser, seine Mutter war nicht dabei.
„Zu spät, ich hab jetzt Lust etwas unter Leuten zu sein“, trällerte seine Mutter und eilte schon ins Bad um sich zu frisieren.
„Okay, kannst du mir dann etwas mitbringen? Ich bleib hier“, versuchte es Michael.
„Du weißt, wie ich dazu stehe, vor unseren Nachbarn … Ich will keine üble Nachrede. Du kommst mit!“ Sie schlüpfte in ihre Schuhe, warf sich den Trageriemen der Handtasche über die Schulter und bugsierte ihren Sohn aus der Wohnung.
„So viel zu
'mein Sohn kann sich behaupten'“,
maulte Michael.
„Das hat
überhaupt nichts
damit zu tun. Hier geht es darum, dass Mutter und Sohn mal wieder gemeinsam einen
drauf
machen wollen!“, erklärte sie fröhlich. Hatte sie getrunken? Wovon faselte sie da?
„Du nennst Pommes futtern, einen '
drauf machen'?
Und was heißt außerdem
wieder?
Wir haben noch nie zusammen einen '
drauf gemacht'“
, argumentierte Michael.
„Na, dann wird es höchstens Zeit!“, gab sie von sich und trippelte die Treppen runter. „Raus aus unserem sicheren Nest – hinein in die Welt!“
„Diese beiden Typen haben dir zugesetzt, was?“ Michael begann zu ahnen, woher der Wind wehte.
Ihm
hatten sie allerdings
auch
zugesetzt – zumindest der eine. Michael hatte weiche Knie vor Angst – sicher würde Ronny da unten sein. Was dann?
„Ich weiß nicht, wen du meinst!“, wehrte sie ab und schüttelte
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