Der Lambertimord
die innen mit ihren langen, leeren, gelblich gestrichenen Fluren ebenfalls kalt und unfreundlich wirkten. Und immer roch es dort nach kaltem Rauch.
Frank fuhr über das Kopfsteinpflaster an der Leitstelle vorbei und parkte vor dem Hochhausbau, der in den siebziger Jahren hochgezogen worden war. Ein häßlicher, funktionaler, sechsgeschossiger Betonturm, der in der ersten Etage durch einen Brückenbau mit der alten Kaserne verbunden war.
Auf dem Weg zu Beukes Büro traf er auf dem Flur Ulrich Lemanski.
»Na, machen die Ermittlungen Fortschritte?«
»Fortschritte? Von Fortschritten kann keine Rede sein. Wir treten auf der Stelle. Wir haben keinen richtigen Packan. Vor allem in der Sache van den Hövel tappen wir noch völlig im Dunkeln. Ich weiß nicht, warum, aber wir drehen uns nur auf der Stelle. Egal, wo wir hinpacken, nur Watte. Nichts Greifbares. Was uns besonders zu schaffen macht: in der Wohnung von Heike van den Hövel haben wir nicht ein persönliches Schriftstück gefunden, kein Brief, kein Tagebuch, nichts.«
»Na, so ungewöhnlich ist das heute auch nicht mehr. Im Zeitalter von Handy und Computer.«
»Selbst auf dem PC haben wir nichts Verwertbares gefunden. Nur Geschäftspost und der ganze Bürokram ihres Vaters.«
»Na ja, vielleicht weiß der Vater, ob sie Tagebuch geführt hat. Alle Mädchen fuhren Tagebuch. Manchmal auch noch, wenn sie Frauen sind. Wir haben da einen interessanten Fall.«
Frank unterbrach seinen Kollegen und sah auf seine Uhr. »Wir haben nichts gefunden. Und ihr Vater weiß angeblich auch nicht, ob seine Tochter noch Tagebuch geführt hat. Als Kind wohl schon. Tut mir leid, Uli, ich muß los, Peter wartet auf mich. Ich bin spät dran.«
Ulrich Lemanski sah ihm kopfschüttelnd nach. »Viel Glück.«
Aber da war Frank schon fast die halbe Treppe hoch ins Obergeschoß.
Peter Beuke saß mit dem Rücken zur Tür, hatte die Füße auf einen Aktenbock gelegt, und sah aus dem Fenster. Das Büro war selbst für die ohnehin schon nüchternen Amtsstuben der Polizei erstaunlich unpersönlich eingerichtet. Nicht mal das obligatorische Familienfoto stand auf dem Schreibtisch, der penibel aufgeräumt war. An den Wänden nur ein Dienstplan und ein Wappenteller der Polizei von Dresden. Frank wußte, daß Beuke nach der Wende dort einige Monate beim Aufbau der Polizeibehörde mitgeholfen hatte.
In anderen Büros hingen wenigstens noch unbeholfen gemalte Kinderbilder oder bunte Kalenderblätter, aber Beukes Büro war regelrecht leer. Nicht mal eine vertrocknete Zimmerpflanze auf dem Fensterbrett. Links an der Wand stand ein großes Aktenregal. Neben dem Spind auf der rechten Seite stand eine schmale Anrichte mit einer Kaffeemaschine. Sie gab den einzigen Hinweis auf das Seelenleben ihres Benutzers, denn sie war sichtbar im Dauergebrauch und schon länger nicht sauber gemacht worden. Der weiße Kunststoff war übersät mit braunen Flecken. Im Glasballon stand eine tiefschwarze Flüssigkeit.
»Hallo, Peter.«
»Möchtest du einen Kaffee?« Beuke hatte sich aufgesetzt und mit dem Stuhl herumgedreht, als die Tür mit dem Milchglaseinsatz aufging.
»Wenn er noch heiß ist.«
»Bitte, bedien dich. Ein sauberer Becher steht hinter der Schiebetür, auch Milch und Zucker.« Beuke deutete auf die Anrichte.
Als Frank sich einen Kaffee einschenkte, konnte er sehen, daß auch die Oberfläche des Schränkchens schon länger nicht mehr abgewischt worden war; viele Kreise, Kaffeekrümel und Milchflecken hatten ein abstraktes Muster auf die braune Kunststoffoberfläche gezeichnet.
»Wie kannst du dich hier nur wohlfühlen?« Frank setzte sich vor den Schreibtisch.
»Was meinst du damit?«
»Na ja, so ohne Bild oder Foto. Sieht bei dir fast aus wie in einer Vorführzelle. Ich könnte so nicht arbeiten.«
»Ist das nicht in gewissem Maße auch so? Unsere Büros sind schließlich die Zwischenwelt, die Schwelle zwischen Draußen und Drinnen«, philosophierte Peter Beuke mit Blick auf den Dienstplan. »Außerdem habe ich mich in den ganzen Jahren daran gewöhnt. Gemütlich habe ich es in meinem Wohnzimmer zu Hause. Ich brauche den Unterschied, sonst werde ich verrückt.«
Frank sah auf seinen Becher. »Vermutlich hast du recht.«
»Was willst du wissen?«
»Was habt ihr über Kurt Masuhr in euren Unterlagen?«
Peter Beuke war bei dem Namen keineswegs überrascht. »Kurt Masuhr, das ist einer, den wir schon länger beobachten. Von ihm habe ich dir doch schon mehrfach erzählt. Ein kleiner Ganove,
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