Der Lambertimord
ein bißchen Diebstahl, ein bißchen Körperverletzung, Fahren ohne Führerschein, das Übliche halt. Hat vor fünf Jahren die braune Szene für sich entdeckt. Bei Kameradschaftstreffen immer vorneweg. Ein Schläger, kein Denker. Soll mit seinen braunen Kameraden schon vor der ein oder anderen Asylunterkunft gesehen worden sein. Klare Beweise haben wir nicht. In der Führungsstruktur, wenn man bei unseren Neonazis hier in der Gegend überhaupt von Führungsstruktur reden kann, ist er eher zum Fußvolk zu rechnen. Seine Kameraden haben einen Heidenrespekt vor ihm. Besonders wenn er betrunken ist, sollte man ihm besser aus dem Weg gehen. Hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Hat Kontakte zur Szene im Raum Limburg.«
Beuke stand auf und zog einen Ordner aus dem Regal und begann aufmerksam zu blättern. Er setzte sich hin. »Er lebt in Hinsbeck im Haus seiner Eltern. Sie sind früh gestorben und haben ihm nicht viel mehr als das kleine Häuschen vermacht. Sie waren einfache, aber ehrbare Leute, wie man so sagt. Eigentlich schade, daß ihr einziger Sohn diese Karriere gemacht hat. Wie seine Nachbarn erzählen, war Kurt Masuhr als Kind eigentlich ein ganz netter Junge. Daß er so enden mußte, das hat selbst er nicht verdient.«
»Hast du eine Ahnung, wie er in die Szene geraten ist?«
»Wie das so geht. Man lernt sich in der Kneipe kennen, wird zu Kameradschaftsabenden eingeladen. Jede Menge Bier, jede Menge Ideologien: wir aufrechten Deutschen. Die Scheißpolen nehmen uns die Arbeit weg, genauso wie die Fidschis. Das sind die Sprüche, die irgendwann ziehen. Und dann stecken sie drin, und denken nicht mehr nach. Dann zählt nur noch diese Psychokacke von wegen unser Blut ist unsere Religion und so weiter …« Beuke schlug den Aktendeckel zu und legte die Hand auf den Ordner.
»Das ist alles? Ich meine, so einfach geht das?«
»Wenn du einen schwachen Charakter hast, keine Freunde, keine familiären Bindungen, dann bist du froh, wenn sich die Gemeinschaft um dich kümmert – und wenn sie dabei auch Tarnhosen trägt. Die Politik ist dabei egal. Das Rudel gibt Geborgenheit. So einfach ist das im Leben.«
»Klingt nach Resignation.«
»Nein, das ist die Realität und die Erfahrung von – ich weiß nicht mehr, wie vielen Dienstjahren. Ich habe aufgehört zu zählen.«
»Du hast gesagt, Masuhr stand unter Beobachtung. Was meinst du damit?«
»Er gehörte einer Gruppe an, die sich Kämpfer 20. Juli ’44 nannten. In Anlehnung an das Attentat auf Hitler.«
»Wieso ausgerechnet 20. Juli?«
»Wir haben mal bei einer Wohnungsdurchsuchung ein paar Flugblätter gefunden. Die Gruppe macht sich zusammen mit niederländischen Kameraden mit sogenannten Wehrsportübungen für den Ernstfall fit. Sie wollen mögliche Attentäter schon im Vorfeld erkennen und unschädlich machen. Ziemlich wirres Zeug.«
»Wehrsportübungen?« Frank verstand nun gar nichts mehr.
»Ja, die Gruppe, zu der Masuhr gehörte, hat sich, soviel wir wissen, in den vergangenen Monaten regelmäßig an den Wochenenden im Wald bei Leuth getroffen. Das waren dann immer so rund ein Dutzend Kameraden und Kameradinnen. Auch schon mal zwei Dutzend.«
Frank zog erstaunt die Augenbrauen hoch.
»Ja, du hast richtig verstanden, zwei, drei Frauen waren immer auch dabei. Auch in Tarnhosen und -hemden. Die sind dann einen halben Tag mit durchs Unterholz gerobbt, haben Zelte aufgebaut und Löcher ausgehoben. Die restliche Zeit wurde dann nur noch gesoffen. Wenn man es nicht besser gewußt hätte, die hätten glatt als etwas zu alt geratene Pfadfindergruppe durchgehen können.«
»Ihr habt diese Treffen beobachtet?«
»Natürlich, wir sind im Sommer ein paar Mal an den Wochenenden draußen gewesen, ohne daß sie uns bemerkt haben. Aber wir haben nie eingreifen müssen. Wie gesagt, in Tarnhosen durch den Wald robben und dabei Bier trinken bis zur Bewußtlosigkeit, ist schließlich nicht wirklich verboten.«
»Und das war alles?« Frank machte sich so seine Gedanken.
»Natürlich standen sie nachts um ein großes Lagerfeuer herum und haben ihre Mutproben gemacht. Dabei wurde dann auch kräftig nationalsozialistisches Gedankengut, so will ich das mal nennen, zum Besten gegeben. Wir sind aber nicht eingeschritten, weil wir die Gruppe durch unsere Beobachtungen eher im Griff haben, als wenn wir sie hochgenommen hätten. Waren jedenfalls lange Nächte. Alle Namen kennen wir übrigens nicht. Uns fehlen bestimmt noch vier oder fünf. Auch von den Frauen haben wir
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