Der Landarzt (German Edition)
rauchte. Wie eine Hundebrut krabbelten die Kinder alle durcheinander. Das war lustig anzusehen. Vater und Mutter aßen mit ihnen zu Abend. Nach langem Hinsehen entdeckte ich in den Rauchschwaden, die der Vater mit seinem Pfeifenqualm hervorrief, die junge Jüdin, die wie ein funkelnagelneuer Napoleon aus einem Haufen grober Sous hervorleuchtete. Ich, mein lieber Benassis, habe nie Zeit gehabt, über die Liebe nachzudenken; doch als ich das junge Mädchen sah, begriff ich, daß ich bis dahin nur der Natur nachgegeben hatte; diesmal aber war alles dabei: Kopf, Herz und der Rest. Ich verliebte mich also vom Kopf bis zu Füßen, oh, aber heftig! Meine Pfeife rauchend, blieb ich da stehen, mit dem Anschauen der Jüdin beschäftigt, bis sie ihre Kerze ausgeblasen und sich schlafen gelegt hatte. Es war mir nicht möglich, ein Auge zuzumachen! Ich blieb die ganze Nacht über auf, stopfte meine Pfeife, rauchte sie und ging die Straße auf und ab. So was hatte ich noch nie erlebt. Es war das einzige Mal in meinem Leben, daß ich ans Heiraten dachte. Als es Tag wurde, sattelte ich mein Pferd und trabte zwei gute Stunden lang durchs Feld, um wieder frisch zu werden, und ohne es zu merken, hatte ich mein Tier fast lahm geritten ...«
Genestas hielt inne, sah seinen neuen Freund mit unruhiger Miene an und sagte zu ihm:
»Entschuldigen Sie, Benassis, ich bin kein Redner, ich spreche, wie mir der Schnabel gewachsen ist; wenn ich in einem Salon wäre, würde ich mich genieren, aber vor Ihnen und auf dem Lande . . .«
»Fahren Sie fort,« sagte der Arzt.
»Als ich in mein Zimmer zurückkam, fand ich Renard in voller Tätigkeit. Da er mich im Duell getötet wähnte, putzte er seine Pistolen und hatte die Absicht, mit dem, der mich ins Grab gebracht, einen Streit vom Zaune zu brechen ... Oh, aber das war ganz des Verschmitzten Charakter! Ich vertraute Renard meine Liebe an und zeigte ihm die Kinderschar. Da mein Renard die Mundart der wunderlichen Käuze dort verstand, bat ich ihn, mir behilflich zu sein, dem Vater und der Mutter meine Anträge zu machen und zu versuchen, eine Verbindung mit Judith herzustellen. Sie hieß nämlich Judith. Kurz, mein Herr, vierzehn Tage lang war ich der glücklichste aller Männer, weil der Jude und seine Frau uns allabendlich mit Judith zusammen essen ließen. Sie kennen sich in solchen Sachen aus, und ich will Sie damit nicht weiter ungeduldig machen; wenn Sie indessen für den Tabak nichts übrig haben, so kennen Sie auch das Vergnügen eines braven Mannes nicht, der mit seinem Freunde Renard und dem Vater des Mädchens zusammen angesichts der Prinzessin friedlich seine Pfeife raucht. Das ist sehr angenehm. Doch muß ich Ihnen sagen, Renard war ein Pariser, ein Sohn aus gutem Hause. Sein Vater, der einen großen Spezereienhandel betrieb, hatte ihn für den Advokatenstand bestimmt, und er hatte einiges Wissen; als ihn jedoch die Konskription erwischt hatte, mußte er der Schreibstube ade sagen. Uebrigens, wie geschaffen dazu, die Uniform zu tragen, hatte er ein Gesicht wie ein junges Mädchen, und verstand sich vortrefflich darauf, die Leute einzuwickeln. Ihn liebte Judith, die sich aus mir soviel wie ein Pferd aus gebratenen Tauben machte! Während ich mich begeisterte und bei Judiths Anblick in höheren Regionen schwebte, benahm sich mein Freund Renard, der seinen Namen Fuchs (Renard) nicht gestohlen hatte, wissen Sie, ganz irdisch. Der Verräter verstand sich mit dem Mädchen, und zwar so gut, daß sie sich nach der Landessitte verheirateten, weil es zu lange gedauert hätte, bis die Einwilligungen würden eingetroffen sein. Er versprach aber, sie nach dem französischen Gesetz zu heiraten, wenn die Heirat etwa angefochten werden sollte. Tatsache ist, daß Madame Renard in Frankreich wieder Mademoiselle Judith wurde. Hätt' ich's gewußt, würd' ich Renard getötet haben, und das, ohne ihm Zeit zum Schnaufen zu lassen; aber Vater, Mutter, Tochter und mein Unteroffizier, all das verstand sich untereinander wie Diebe auf dem Jahrmarkte. Während ich meine Pfeife rauchte, Judith wie einen Abendmahlskelch anbetete, machte mein Renard seine Stelldicheins ab und betrieb seine Liebesangelegenheiten wohl ... so wohl ...
Sie sind der einzige Mensch, mit dem ich über diese Geschichte, die ich eine Ruchlosigkeit nenne, gesprochen habe. Immer hab' ich mich gefragt, warum ein Mann, der vor Scham stürbe, wenn er ein Goldstück fortnehmen würde, seinem Freunde ohne Gewissensbisse die Frau, das Glück und
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