Der Landarzt (German Edition)
es Qualen, gegen die ich machtlos bin. Heute wäre ich vor Ihnen, ohne daß Sie es ahnten, beinahe heimlichen Martern unterlegen ...«
Genestas fuhr von seinem Stuhle auf.
»Ja, Rittmeister Bluteau, Sie waren dabei. Haben Sie mir nicht Mutter Colas' Bett gezeigt, als wir Jacques niederlegten? Nun, wenn es mir unmöglich ist, ein Kind zu sehen, ohne an den Engel zu denken, den ich verloren habe, so können Sie sich meine Schmerzen ausmalen, wenn ich ein zum Sterben verdammtes Kind ins Bett lege! Ich kann ein Kind nicht kalten Herzens ansehen ...«
Genestas erbleichte.
»Ja, die hübschen blonden Köpfe, die unschuldigen Köpfe der Kinder, denen ich begegne, sprechen mir beständig von meinem Unglück und wecken meine Qualen wieder auf. Und dann ist es ein schrecklicher Gedanke für mich, daß so viele Leute mir für das wenige Gute, das ich ihnen hier tue, danken, wo dieses Gute doch die Frucht meiner Gewissensbisse ist! Sie allein kennen das Geheimnis meines Lebens, Rittmeister. Wenn ich meinen Mut aus einem reineren Gefühle als dem meiner Fehler geschöpft hätte, würde ich sehr glücklich sein, hätte Ihnen jedoch nichts von mir zu erzählen gehabt!«
V
Elegien
Als Benassis mit seiner Erzählung fertig war, bemerkte er auf des Offiziers Gesicht einen tief nachdenklichen Ausdruck, der ihn überraschte. Es berührte ihn tief, so gut verstanden worden zu sein, und fast bereute er es, seinen Gast betrübt zu haben, und so sagte er zu ihm:
»Aber, Rittmeister Bluteau, mein Unglück ...«
»Nennen Sie mich nicht Rittmeister Bluteau,« rief Genestas, den Arzt unterbrechend, und mit einer heftigen Bewegung, die eine Art innerer Unzufriedenheit verriet, plötzlich aufstehend. »Es gibt keinen Rittmeister Bluteau. Ich bin ein armseliger Mensch!«
Nicht ohne lebhafte Ueberraschung blickte Benassis Genestas an, der im Salon herumirrte wie eine Hummel, die aus einem Zimmer, in das sie versehentlich geraten, einen Ausweg sucht.
»Aber, wer sind Sie denn, mein Herr?« fragte Benassis.
»Ach, das ist's ja!« antwortete der Offizier, indem er sich wieder dem Arzte gegenübersetzte, den er nicht anzusehen wagte. »Ich habe Sie getäuscht!« fuhr er mit erregter Stimme fort. »Zum ersten Male in meinem Leben hab' ich mir eine Lüge zuschulden kommen lassen und bin tüchtig dafür bestraft worden; denn ich kann Ihnen nun nicht mehr den Grund meines Besuchs noch meiner verwünschten Spionage sagen! Seit ich sozusagen Ihre Seele habe durchblicken sehen, hätte ich lieber eine Ohrfeige kriegen als mich von Ihnen Rittmeister Bluteau nennen hören! Sie können mir diesen Betrug verzeihen, Sie; ich aber, ich werd' ihn mir nie vergeben, ich, Pierre-Joseph Genestas, der ich, um mein Leben zu retten, nicht vor einem Kriegsgerichte lügen würde!«
»Sie sind der Major Genestas?« rief Benassis, aufstehend.
Er ergriff des Offiziers Hand, drückte sie sehr freundschaftlich und sagte:
»So wären wir, wie Sie, mein Herr, vorhin behaupteten, Freunde, ohne uns zu kennen! Ich hab' aufs lebhafteste gewünscht, Sie zu sehen, wenn ich Monsieur Gravier von Ihnen reden hörte: ›Ein Mann aus Plutarch‹, sagte er zu mir von Ihnen.«
»Ich bin durchaus kein Mann aus Plutarch,« antwortete Genestas, »ich bin Ihrer unwürdig und möchte mich ohrfeigen! Ich mußte Ihnen ganz einfach mein Geheimnis anvertrauen. Aber nein! Ich habe gut daran getan, eine Maske vorzunehmen und selber herzukommen, um hier Erkundigungen über Sie einzuziehen! Ich weiß nun, daß ich schweigen muß. Hätte ich offen gehandelt, würde ich Ihnen Qual bereitet haben. Gott bewahre mich davor, daß ich Ihnen den geringsten Kummer verursache!«
»Aber, ich verstehe Sie nicht, Major!«
»Lassen wir's dabei bewenden. Ich bin nicht krank, habe einen schönen Tag verlebt und werde morgen meiner Wege gehen. Wenn Sie nach Grenoble kommen sollten, werden Sie dort einen Freund mehr finden, und das ist kein Freund zum Spaß. Geldbeutel, Säbel, Blut, alles steht Ihnen bei Pierre-Joseph Genestas zur Verfügung. Schließlich haben Sie Ihre Worte auf guten Grund gesät. Wenn ich meinen Abschied kriege, will ich in irgend so ein Loch gehen, dort Bürgermeister werden und Sie nachzuahmen suchen. Wenn mir Ihr Wissen fehlt, werd' ich studieren ...«
»Sie haben recht, mein Herr; der Grundbesitzer, der seine Zeit dazu anwendet, einen einfachen Nutzungsfehler in einer Gemeinde zu verbessern, leistet seinem Lande ebenso gute Dienste wie der beste Arzt: wenn der eine einiger Menschen
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