Der Landarzt (German Edition)
ich den Rest meines Lebens für irgendein schwer durchzuführendes Unternehmen einzusetzen. Die Veränderungen, die in diesem Bezirke vorgenommen werden mußten, den die Natur so reich begabte und den der Mensch so arm machte, mußten ein ganzes Leben ausfüllen; sie reizten mich eben durch die Schwierigkeit, sie ins Werk zu setzen. Sobald ich sicher war, das Pfarrhaus und viele öde Strecken Landes wohlfeil zu bekommen, widmete ich mich gewissenhaft dem Berufe des Landchirurgen, dem letzten aller derer, die ein Mann in seiner Heimat ergreifen mag. Ich wollte der Freund der Armen werden, ohne den geringsten Dank von ihnen zu erwarten. Oh, ich hab' mich keiner Illusion hingegeben, weder über den Charakter der Landleute, noch über die Hindernisse, denen man begegnet, wenn man die Menschen oder die Dinge zu verbessern sucht. Ich habe mir keine Idylle in bezug auf meine Leute ausgemalt, hab' sie genommen für das, was sie sind: arme, weder ganz gute, noch ganz schlechte Bauern, denen eine beständige Arbeit nicht erlaubt, sich Gefühlen zu überlassen, die aber manchmal lebhaft empfinden können. Kurz, ich habe vor allem begriffen, daß ich nur durch unmittelbare Vorteils- und Nützlichkeitserwägungen auf sie wirken würde. Alle Bauern sind Kinder des heiligen Thomas, des ungläubigen Apostels, immer wollen sie Tatsachen zur Stütze der Worte sehen!«
»Ueber mein erstes Auftreten werden Sie vielleicht lachen,« fuhr der Arzt nach einer Pause fort. »Ich habe dies schwierige Werk mit einer Korbfabrik begonnen. Die armen Leute kauften ihre Käsehürden und die für ihren ärmlichen Handel unerläßlichen Korbwaren in Grenoble. Einen jungen intelligenten Mann brachte ich auf den Gedanken, längs des Wildbachs ein großes Landstück in Pacht zu nehmen, das alljährliche Anschwemmungen fruchtbar machten, und wo Korbweiden sehr gut fortkommen mußten. Nachdem ich die Anzahl der vom Bezirk verbrauchten Korbwaren überschlagen hatte, suchte ich einen jungen mittellosen Handwerker, einen geschickten Arbeiter, in Grenoble ausfindig zu machen. Als ich ihn gefunden hatte, bestimmte ich ihn leicht, sich hier niederzulassen, indem ich ihm versprach, ihm das Geld für die zu seinen Erzeugnissen nötigen Weideruten vorzustrecken, bis mein Weidenpflanzer ihm solche liefern könne. Ich überredete ihn, seine Körbe besser herzustellen und sie unter dem Grenobler Preise zu verkaufen. Er verstand mich. Die Weidenzucht und die Korbflechterei bildeten eine Spekulation, deren Resultate erst in vier Jahren geschätzt werden konnten. Es ist Ihnen gewiß bekannt, daß Weiden erst in drei Jahren so weit sind, daß sie geschnitten werden können. Während seines ersten Arbeitsjahres lebte und fand mein Korbflechter seine Nahrung durch Wohltaten. Bald heiratete er eine Frau aus Saint-Laurent-du-Pont, die etwas Geld hatte. Dann ließ er sich ein gesundes, luftiges Haus bauen, dessen Platz von mir gewählt und dessen Einteilung nach meinen Ratschlägen vorgenommen wurde. Welch ein Triumph, mein Herr! Ich hatte in diesem Flecken ein Gewerbe geschaffen, hatte einen Produzenten und einige Arbeiter dorthingebracht! Sie werden meine Freude eine Kinderei heißen? ... Während der ersten Tage der Etablierung meines Korbmachers ging ich nie vor seinem Laden vorbei, ohne daß sich meine Herzschläge beschleunigten. Als ich in diesem neuen Hause mit grüngestrichenen Fensterläden, vor dessen Tür eine Bank, ein Weinstock und Weidenbündel standen, dann eine saubere, gutgekleidete Frau sah, die ein dickes weiß-rosiges Kind inmitten von lauter fröhlichen Arbeitern stillte, die singend und eifrig ihre Korbwaren flochten, und von einem Manne angeleitet wurden, der, einst arm und hager, nun das Glück ausstrahlte, konnte ich dem Vergnügen nicht widerstehen, für einen Augenblick den Korbmacher zu spielen. Ich trat in die Werkstatt, um mich nach ihren Geschäften zu erkundigen, und gab mich dort einer Zufriedenheit hin, die ich nicht auszumalen wüßte. Ich war froh über diese Leute und meine Freude. Das Haus des Mannes, des ersten, der fest an mich glaubte, wurde meine ganze Hoffnung. War es nicht des armen Landes Zukunft, mein Herr, die ich bereits in meinem Herzen trug, wie die Frau des Korbmachers ihren ersten Säugling in dem ihrigen trug? ... Viele Dinge hatte ich zu gleicher Zeit zu betreiben, viele Vorstellungen mußte ich verletzen ... Ich begegnete einem heftigen Widerstand, der von dem unwissenden Bürgermeister genährt wurde, dem ich seine
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