Der Landarzt (German Edition)
gefunden, die, wie Gondrin sagt, haarig genug waren, um dies Werk zu unternehmen. Auch hat der General sich selber ins Wasser gestellt, sie ermutigt, getröstet und jedem von ihnen tausend Franken Pension und das Kreuz der Ehrenlegion versprochen. Dem ersten Manne, der in die Beresina gegangen, ist das Bein von einer großen Eisscholle abgeschnitten worden, und der Mann ist seinem Beine nachgefolgt. Doch Sie werden die Schwierigkeiten des Unternehmens besser aus den Resultaten verstehen: von den zweiundvierzig Pontonieren ist heute nur Gondrin übrig. Neununddreißig von ihnen sind beim Uebergang über die Beresina umgekommen, und die beiden anderen haben elendiglich in den Hospitälern Polens geendigt. Unser armer Soldat ist erst 1814 nach der Rückkehr der Bourbonen aus Wilna zurückgekehrt. General Éblé, von dem Gondrin nie redet, ohne Tränen in den Augen zu haben, war tot. Der taub und kränklich gewordene Pontonier, der weder lesen noch schreiben konnte, hat also weder eine Stütze mehr, noch einen Verteidiger gefunden ... Sein Brot erbettelnd, ist er nach Paris gekommen und hat dort Schritte in den Schreibstuben des Kriegsministeriums unternommen, nicht um die versprochene Tausendfranken-Pension oder das Kreuz der Ehrenlegion, sondern um den simplen Abschied mit Gnadengehalt zu bekommen, auf den er nach zweiundzwanzigjähriger Dienstzeit und, ich weiß nicht wieviel Feldzügen, Anspruch hatte; hat aber weder rückständigen Sold, noch Marschkosten, noch Pension gekriegt. Nach einem Jahre vergeblicher Eingaben, währenddessen er allen, die er gerettet hatte, die Hand hingehalten, ist der Pontonier ohne Trost, aber resigniert hierher zurückgekehrt. Dieser unbekannte Held gräbt für zehn Sous das Klafter Gräben. Gewöhnt, wie er es ist, in den Sümpfen zu arbeiten, übernimmt er, wie er sagt, die Aufträge, an die kein anderer Arbeiter sich herantraut. Indem er Pfuhle ausschlämmt und Gräben durch feuchte Wiesen zieht, kann er etwa drei Franken täglich verdienen. Seine Taubheit verleiht ihm eine trübe Miene; von Natur ist er wortkarg, besitzt aber ein tiefes Gemüt. Wir sind gute Freunde. An den Tagen der Schlacht von Austerlitz, des kaiserlichen Wiegenfestes und des Unglücks von Waterloo ißt er bei mir, und ich gebe ihm beim Nachtisch einen Napoleon, um ihm seinen Wein für jedes Vierteljahr zu bezahlen. Das Gefühl der Ehrfurcht, die ich vor diesem Manne habe, wird übrigens von der ganzen Gemeinde geteilt, die nichts lieber täte, als ihn zu ernähren. Wenn er arbeitet, geschieht's aus Stolz. In welches Haus er immer kommt, wird er nach meinem Beispiel geehrt und zum Essen eingeladen. Nur als ein Bild des Kaisers hab' ich ihn bestimmen können, mein Zwanzigfrankenstück anzunehmen. Die ihm zugefügte Ungerechtigkeit hat ihn tief betrübt, aber er trauert mehr noch seinem Kreuze nach, als daß er sich seine Pension wünscht. Ein einziger Umstand tröstet ihn. Als General Éblé nach Erbauung der Brücken die gesunden Pontoniere dem Kaiser vorstellte, hat Napoleon unsern armen Gondrin umarmt. Ohne diese Umarmung würde er vielleicht schon tot sein; er lebt nur durch diese Erinnerung und durch die Hoffnung auf Napoleons Rückkehr. Nichts kann ihn von dessen Tode überzeugen; er glaubt felsenfest, daß er seine Gefangenschaft den Engländern verdankt und würde, glaub' ich, den besten der Aldermänner, der zu seinem Vergnügen reist, unter dem nichtigsten Vorwande umbringen.«
»Auf, auf!« rief Genestas, aus der tiefen Aufmerksamkeit, mit der er dem Arzte lauschte, auffahrend, »machen wir schnell, ich möchte den Mann sehen!«
Und die beiden Reiter setzten ihre Pferde in lebhaften Trab.
»Der andere Soldat«, fuhr Benassis fort, »ist ebenfalls einer jener Eisenmänner, die in den Armeen herumgekugelt sind. Er hat, wie alle französischen Soldaten, von Kugeln, Hieben und Siegen gelebt. Hat viel ausgehalten und immer nur wollene Achselklappen getragen. Besitzt einen jovialen Charakter und liebt Napoleon, der ihm das Kreuz auf dem Schlachtfelde von Valentina verliehen hat, fanatisch. Als echter Dauphineser hat er stets Sorge getragen, mit sich im reinen zu sein; auch bekommt er sein Gnadengehalt und seine Ehrenlegionspension. Er ist ein Infanterist namens Goguelat, der 1812 zur Garde gekommen ist. In gewisser Hinsicht ist er Gondrins Aufwärterin. Beide hausen zusammen bei der Witwe eines herumziehenden Händlers, der sie ihr Geld übergeben; die gute Frau läßt sie bei sich wohnen, verpflegt,
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