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Der Landarzt (German Edition)

Der Landarzt (German Edition)

Titel: Der Landarzt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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fließende Wasser und beschaut sich die malerischen Wunder, die sich unter den klaren und ruhigen Gewässern zeigen, jene hübschen, aus Kieseln, Erde, Sand, Wasserpflanzen, Moos und braunen Niederschlägen zusammengesetzten Mosaiken, deren Farben so mild sind und deren Töne so seltsame Kontraste bilden. Als ich ins Land kam, starb das arme Mädchen Hungers. Gedemütigt wie sie war, fremdes Brot anzunehmen, nahm sie zur öffentlichen Barmherzigkeit nur in dem Augenblicke ihre Zuflucht, wo sie durch äußerstes Leiden dazu gezwungen wurde. Oft verlieh ihr die Scham Energie. Einige Tage lang verrichtete sie dann Landarbeit; schnell erschöpft, zwang sie eine Krankheit, ihre begonnene Arbeit aufzugeben. Kaum war sie wiederhergestellt, als sie sich in irgendeiner Meierei der Nachbarschaft einstellte, indem sie bat, dort für die Tiere sorgen zu dürfen; nachdem sie aber ihren Pflichten mit Umsicht nachgekommen war, verließ sie die Stellung, ohne zu sagen weshalb. Zweifelsohne war ihre Tagesarbeit ein zu drückendes Joch für sie, die ganz Unabhängigkeit und ganz Laune ist. Dann schickte sie sich an, Trüffeln oder Champignons zu suchen und verkaufte sie in Grenoble. Durch Schnurrpfeifereien angezogen, vergaß sie in der Stadt ihr Elend, und da sie nun ein paar Sous besaß, kaufte sie sich Bänder, Flitterkram, ohne an ihr Brot für den kommenden Tag zu denken. Wenn dann irgendein Mädchen des Fleckens sich ihr Kupferkreuz, ihr Jeannettenherz oder ihr Samtbändchen wünschte, gab sie es ihr, glücklich, ihr eine Freude machen zu können; denn sie lebt durch ihr Herz. Auch war die Fosseuse der Reihe nach geliebt, beklagt und mißachtet. Das arme Mädchen litt an allem, an ihrer Trägheit, ihrer Güte, ihrer Gefallsucht; denn sie ist gefallsüchtig, naschhaft und neugierig, kurz, sie ist ein Weib. Mit kindlicher Naivität überläßt sie sich ihren Eindrücken und ihren Neigungen. Erzählen Sie ihr irgendeine schöne Handlung, so bebt und errötet sie, ihr Busen wogt, sie weint vor Freude. Wenn Sie ihr eine Diebsgeschichte erzählen, wird sie vor Schrecken blaß. Sie ist die wahrste Natur, das aufrichtigste Herz und die zartfühlendste Rechtschaffenheit, der man begegnen kann; wenn Sie ihr hundert Goldstücke anvertrauten, würde sie sie in einer Ecke vergraben und weiter um ihr Brot betteln.« Benassis' Stimme ward erregt, als er diese Worte sagte. »Ich habe sie prüfen wollen, mein Herr,« fuhr er fort, »und ich hab' es bereut. Ist eine Prüfung nicht Spionage, mindestens Mißtrauen?«
    Hier hielt der Arzt inne, wie wenn er eine heimliche Erwägung anstellte, und bemerkte die Verwirrung nicht, in die seine Worte seinen Gefährten versetzt hatten, der, um seine Verlegenheit nicht merken zu lassen, sich damit beschäftigte, seines Pferdes Zügel in Ordnung zu bringen. Benassis ergriff das Wort bald wieder:
    »Ich würde meine Fosseuse verheiraten, würde gern eine meiner Meiereien irgendeinem braven Burschen geben, der sie glücklich machen könnte, und sie würde es sein. Ja, das arme Mädchen würde ihre Kinder unendlich lieben, und alle Gefühle, die sie überreichlich besitzt, würden sich in das ergießen, welches beim Weibe alles umfaßt, in die Mütterlichkeit; doch kein Mann hat ihr zu gefallen gewußt. Sie ist indessen von einer für sie gefährlichen Sensibilität; sie weiß es und hat mir das Geständnis ihrer nervösen Empfänglichkeit gemacht, als sie sah, daß ich sie bemerkte. Sie gehört zu der kleinen Zahl Frauen, bei denen die geringste Berührung ein gefährliches Beben hervorruft; deshalb muß man ihrer Klugheit und ihrem Frauenstolz Dank wissen. Sie ist scheu wie eine Schwalbe. Ach, welch eine reiche Natur! Sie war dazu geschaffen, eine im Behagen lebende geliebte Frau zu sein; sie wäre wohltätig und beständig gewesen. Mit zweiundzwanzig Jahren siecht sie bereits unter der Last ihrer Seele dahin und wird ein Opfer ihrer allzu vibrierenden Fibern, ihrer zu starken oder zu zarten Organisation. Eine verratene lebhafte Leidenschaft würde sie wahnsinnig machen, meine arme Fosseuse! Nachdem ich ihr Temperament studiert, nachdem ich die Tatsache ihrer langwierigen Nervenanfälle, ihre elektrische Empfänglichkeit festgestellt, nachdem ich sie in offenbarer Uebereinstimmung mit den Wechselfällen der Atmosphäre, mit den Mondveränderungen gefunden hatte – ein Faktum, das ich sorgfältig geprüft –, hab' ich mich ihrer angenommen, mein Herr, wie eines Geschöpfes, das anders geartet ist wie die

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