Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home
gelebt?«, fragte Frank Waterford verblüfft. »Eloise erzählte mir, sie habe ihm das Sorgerecht für dich überlassen, damit sie mich heiraten könne, und er würde ihr nicht erlauben, dich jemals wiederzusehen. Nicht einmal ein Foto von dir stellte sie auf, weil sie sagte, das wäre zu schmerzlich.«
Seufzend schüttelte sie den Kopf. Was für abenteuerliche Lügen ihre Mutter erzählt hatte, um sie loszuwerden ... Ihr Vater wiederum war der Forderung seiner zweiten Frau, Gabriella müsse aus seinem Leben verschwinden, nur zu gern nachgekommen. Mit einem dankbaren Lächeln ergriff sie das Wasserglas, das Mrs Waterford ihr reichte. »Ich wurde niemals fotografiert. Bevor meine Mutter nach Reno fuhr, brachte sie mich in ein New Yorker Kloster. Seither hörte ich nichts mehr von ihr. Ich weiß nur, dass sie der Oberin monatlich einen Scheck schickte, bis zu meinem achtzehnten Geburtstag.«
»Und mir hat sie eingeredet, dieses Geld würde sie für wohltätige Zwecke spenden, weil die Nonnen vor vielen Jahren gut zu ihr gewesen seien. Ich hatte keine Ahnung, dass du in diesem Kloster aufgewachsen bist ...« Plötzlich verspürte er das Bedürfnis, sich für Eloises Niedertracht zu entschuldigen, obwohl er keine Schuld daran trug. Gabriella warf ihm auch überhaupt nichts vor.
»Woran ist sie gestorben?«
»An Brustkrebs.« Als er die Trauer in ihren Augen las, hätte er sie beinahe umarmt. »Sie war kein – glücklicher Mensch«, fügte er diplomatisch hinzu, weil er Eloises Tochter nicht kränken und keine Illusionen zerstören wollte. »Sicher hat sie dich schrecklich vermisst.«
»Danach hätte ich sie gern gefragt – und nach anderen Dingen.« Gabriella stellte das Glas auf den Couchtisch. »Deshalb kam ich hierher.«
»Kann ich dir irgendwie helfen?«, erbot er sich. Interessiert und mitfühlend hörte seine Frau zu.
»Wohl kaum. Ich wollte herausfinden, warum sie mich verlassen hat ...« Krampfhaft hielt Gabriella ihre Tränen zurück. Es wäre furchtbar peinlich gewesen, wenn sie vor diesen fremden Leuten geweint hätte – so freundlich sie auch aufgenommen wurde. »... und warum sie mir vorher – so viel antat.«
Frank erkannte bestürzt, wie schwer es ihr fiel, darüber zu sprechen. Offenbar war in Eloises Vergangenheit viel mehr geschehen, als er geahnt hatte. Weil er Gabriella von Herzen das Recht zubilligte, die Wahrheit über die späteren Jahre zu erfahren, entschloss er sich zu rückhaltloser Ehrlichkeit. Irgendetwas zu beschönigen widerstrebte ihm. Dafür wäre es ohnehin zu spät gewesen.
»Was ich dir jetzt erzähle, wird dir nicht gefallen«, begann er. »Aber vielleicht hilft's dir. Die neun Jahre, die ich mit deiner Mutter verbrachte, waren die schlimmsten meines Lebens. Während wir unsere Scheidung planten, wurde sie krank, und da fühlte ich mich natürlich verpflichtet, bei ihr zu bleiben. Welch eine gefühlskalte, bösartige, rachsüchtige Frau ... Ob sie eine gute oder schlechte Mutter war, weiß ich nicht. Aber ich nehme an, sie hat dich auch nicht freundlicher behandelt als mich. Dass sie dich damals ins St. Matthew's brachte, war sicher das Beste, was dir passieren konnte«, mutmaßte er tief bewegt, und seine zweite Frau strich beruhigend über seine Hand. »Bei ihr wärst du deines Lebens nicht mehr froh geworden, Gabriella – selbst wenn ich versucht hätte, dir zu helfen. Während meines Aufenthalts in New York verbot sie mir, mit dir zu reden. Das verstand ich nicht. Du warst so ein süßes kleines Mädchen. Und ich liebe Kinder. In Texas habe ich fünf. Meine erste Frau ist schon vor langer Zeit gestorben. Nachdem ich Eloise geheiratet hatte, wollten sie mich nicht mehr besuchen. Alle hassten sie, und das kann ich ihnen nicht einmal verübeln. Zum Zeitpunkt ihres Todes mochte ich sie auch nicht mehr. Sie besaß keine einzige liebenswerte Eigenschaft, und ihr Nachruf war der kürzeste, den ich jemals las – vermutlich, weil niemand etwas Nettes über sie zu sagen wusste.«
Während er in die Vergangenheit zurückblickte, fiel ihm plötzlich etwas ein, das er längst vergessen hatte.
»Damals in New York versuchte sie mir weiszumachen, du hättest ihre Ehe mit deinem Vater zerstört. Das konnte ich mir nicht vorstellen, und ich gewann den Eindruck, sie wäre eifersüchtig auf dich. Ich dachte, deshalb würde sie das Sorgerecht deinem Vater überlassen – weil sie fürchtete, ich könnte dich in mein Herz schließen. Wie sollte ich auch nur ahnen, dass sie dich nicht
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