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Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home

Titel: Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danielle Steel
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vergoss, ergriff sie mit zitternden Händen ihre Serviette und wischte es weg.
    »Offensichtlich haben sich deine Manieren in dieser letzten Woche nicht verbessert«, zischte Eloise. »Bist du im Krankenhaus gefüttert worden?«
    Verlegen senkte Gabriella den Blick. Um ihre Mutter nicht zu provozieren, gab sie sicherheitshalber keine Antwort. Sobald sie den letzten Bissen gegessen hatte, wurde sie in ihr Zimmer geschickt. Sie spürte, dass ein heftiger Streit in der Luft lag. Nur zu gern ergriff sie die Flucht.
    Sie ging sofort ins Bett. Im Dunkeln lauschte sie den lauten Stimmen ihrer Eltern. Und als sie später Schritte hörte, die sich ihrem Zimmer näherten, war sie nicht überrascht. Wie schon so oft würde die Mutter ihren Zorn an ihr auslassen. Langsam wurde die Decke zurückgezogen. Die Augen zusammengekniffen, alle Muskeln verkrampft, wartete Gabriella auf den ersten Schlag. Vergeblich. Sie spürte, dass jemand neben dem Bett stand, roch aber kein Parfum, und nichts geschah, kein Laut brach die tiefe Stille. Schließlich ertrug sie die Spannung nicht länger und hob die Lider.
    »Hi – hast du geschlafen?«, flüsterte der Vater. Jetzt roch sie den Whisky in seinem Atem. »Ich wollte nur sehen, wie's dir geht.«
    Verwirrt nickte sie. So spät am Abend war er noch nie in ihr Zimmer gekommen. »Wo ist Mommy?«
    »Die schläft.« Erleichtert seufzte Gabriella auf – wenn sie auch wusste, dass die Mutter jederzeit erwachen konnte. Der Vater setzte sich aufs Bett. »Tut mir Leid, was geschehen ist. Die Krankenschwestern haben nur gesagt, dass du sehr tapfer warst.« Wie tapfer sie war, wusste er schon längst – viel tapferer, als er selbst es jemals sein würde.
    »Sie waren alle sehr nett«, wisperte sie. Im Mondschein, der durchs Fenster hereinfiel, betrachtete sie sein Gesicht.
    »Wie fühlst du dich?«
    »Okay ... Mein Ohr tut immer noch ein bisschen weh ... Sonst geht's mir gut ...« Ihre Rippen schmerzten nicht mehr. Aber in den nächsten beiden Wochen musste sie noch einen Verband um den Brustkorb tragen.
    »Pass auf dich auf, Gabriella ... Und sei immer so tapfer. Du bist sehr stark.«
    Was bedeuteten diese Worte? Was wollte er ihr damit erklären? Und warum glaubte er, sie wäre stark? Das verstand sie nicht – wo sie doch wusste, wie grässlich sie sich benahm ...
    Er wollte ihr versichern, dass er sie liebte. Aber er brachte dieses Geständnis nicht über die Lippen. Wenn er sie wirklich liebte, hätte er ihrer Mutter nicht erlaubt, sie jahrelang so grausam zu verprügeln. Aber von diesen Gedanken ahnte Gabriella nichts. Nach einer Weile stand er auf und deckte sie wieder zu.
    Bevor er das Zimmer verließ, blieb er eine Zeit lang auf der Schwelle stehen und erwiderte den Blick seiner Tochter. Dann schloss er so leise wie möglich die Tür hinter sich. Keiner von beiden wollte Eloise wecken. Gabriella hörte nicht einmal, wie er auf Zehenspitzen davonschlich. Von seltsamen Gefühlen erfasst, vergrub sie ihr Gesicht im Kissen.
    Am nächsten Morgen erwachte sie erst, als die Tür aufgerissen wurde und eine vertraute Stimme kreischte: »Raus aus den Federn!« Benommen, noch im Halbschlaf, sprang Gabriella aus dem Bett, und die plötzliche Bewegung bewirkte heftige Kopfschmerzen. »Das wusstest du, nicht wahr, du kleines Biest! Hat er's dir gesagt?« Wütend packte Eloise ihre Tochter an beiden Armen und schüttelte sie, ohne Rücksicht auf das verletzte Ohr und die Rippenbrüche.
    »Was denn? Ich – ich habe keine Ahnung, Mommy ...«, stammelte das Kind und begann zu weinen. Wie das verzerrte Gesicht der Mutter verriet, musste etwas Schreckliches geschehen sein. Aber Gabriella konnte sich nicht vorstellen, was. Zum ersten Mal, seit sie denken konnte, las sie in Mommys Augen Verzweiflung und Unsicherheit.
    »Natürlich weißt du's! Hat er's dir im Krankenhaus erzählt? Was hat er gesagt?« Eloise schüttelte das Kind so heftig, dass es kaum zu sprechen vermochte.
    »Gar nichts ... Was ist mit Daddy passiert?« Hatte er einen Unfall erlitten? War er verletzt?
    Ehe Gabriella weitere Fragen stellen konnte, stieß ihre Mutter hervor: »Er ist verschwunden. Und daran bist nur du schuld. Weil du uns so viel Ärger machst, hat er mich verlassen. Dachtest du, er würde dich lieben? Das war ein Irrtum. Dir ist er genauso weggelaufen wie mir. Jetzt will er von uns beiden nichts mehr wissen. Dich hasst er genauso wie mich.« Wütend schlug Eloise ins Gesicht ihrer Tochter. »Deinetwegen ist er weggerannt. Jetzt

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