Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home
lallte er, vom Alkohol halb betäubt, doch er wusste jetzt genau, was er ihr mitteilen wollte. Das hatte er endlich erkannt, nach all den Jahren, und er bedauerte, dass er erst jetzt den Mut dazu fand. Den hatte Barbara ihm gegeben. Und der Anblick seiner blutüberströmten Tochter hatte ihn in seinem Entschluss bestärkt.
»Zweifellos wirst du es mir verraten, John. Hast du sie weggebracht oder zur Adoption freigegeben?« Eloise wirkte eher amüsiert als besorgt. Endlich sah er das ganze Ausmaß des teuflischen Charakters, der sich hinter ihrer Schönheit verbarg. Nur eins verstand er nicht – warum er so lange blind gewesen war. Vielleicht, weil er sich inständig gewünscht hatte, sie wäre anders.
»Das würde dir gefallen, nicht wahr? Wieso haben wir sie nicht gleich nach der Geburt in ein Waisenhaus gesteckt oder auf die Kirchenstufen gelegt? Dann hättest du dir viel Ärger erspart, und für sie wäre es sicher besser gewesen.« John kämpfte mühsam mit den Tränen. Niemals würde er den armen, geschundenen kleinen Körper vergessen, den er im Krankenhaus auf eine Trage gelegt hatte.
»Verschone mich mit deinen sentimentalen Theorien! Ist sie bei Barbara? Willst du sie kidnappen? Wenn ja, muss ich die Polizei verständigen.« Sie legte ihr Abendtäschchen auf einen Tisch und nahm anmutig in einem Polstersessel Platz – zwar eine bildschöne Frau, aber ohne Seele. Und ihre Grausamkeit kannte keine Grenzen. Mit Eloises Schönheit und ihrer vornehmen Herkunft konnte Barbara sich nicht messen. Das störte ihn nicht, denn ihre Herzensgüte und aufrichtige Liebe erschienen ihm weitaus wichtiger. Jetzt wollte er seine Frau und das Leben, das er mit ihr geführt hatte, möglichst schnell vergessen. Nur Gabriellas wegen hatte er ein Jahr lang gezögert. Doch er konnte ihr ohnehin nicht helfen, gegen dieses Ungeheuer, das sie geboren hatte, war er machtlos. Er musste sich selbst retten.
»Gabriella liegt in einem Krankenhaus«, erklärte er tonlos. »Als ich sie heute Morgen fand, war sie fast bewusstlos.« Er musste Eloise nur anschauen, um vor Wut zu zittern. Trotzdem jagte sie ihm immer noch Angst ein. Wozu sie fähig war, hatte sie ihm in dieser Nacht endgültig bewiesen. Er fürchtete, er könnte die Beherrschung verlieren und sie töten. Das würde sie allerdings sogar verdienen.
»Welch ein Glück, dass du rechtzeitig nach Hause gekommen bist ...«, bemerkte sie kühl.
»Andernfalls wäre sie vermutlich gestorben. Eine Gehirnerschütterung, gebrochene Rippen – ein geplatztes Trommelfell ...« Als er ihr Desinteresse bemerkte, verstummte er. Was sie dem Kind angetan hatte, belastete ihr Gewissen nicht im Mindesten.
»Soll ich etwa in Tränen ausbrechen? Sie hat's verdient.« Gleichmütig zündete sie sich eine Zigarette an und starrte in seine Augen.
»Du bist wahnsinnig«, flüsterte er heiser und strich sich nervös das Haar aus der Stirn. Gelassen und völlig skrupellos, war sie eine formidable Gegnerin – und viel stärker als er. Das wusste er jedoch schon lange.
»Keineswegs, John. Du bist verrückt. Schau doch in den Spiegel!« Ihr Blick schien ihn zu verspotten, und er musste erneut seine Tränen unterdrücken. »Beinahe hättest du sie umgebracht«, würgte er hervor.
»Aber es ist nicht passiert, oder? Vielleicht hätte ich's tun sollen. Diesem Kind verdanken wir die meisten unserer Probleme. Sicher würden wir immer noch eine gute Ehe führen, wäre Gabriella nicht zwischen uns getreten – wenn du sie nicht so maßlos verwöhnt hättest.«
Fassungslos schüttelte er den Kopf. Sie glaubte tatsächlich, was sie da sagte! In ihrer krankhaften Verblendung hatte sie sich eingeredet, Gabriella sei für alles verantwortlich und würde die Prügel verdienen, die sie in all den Jahren bekommen hatte. Jeder Versuch, Eloise vom Gegenteil zu überzeugen, wäre zwecklos. Trotzdem erwiderte er: »Mit unseren Schwierigkeiten hat sie nichts zu tun. Du bist ein eifersüchtiges Monster, Eloise. Und du hasst das arme kleine Mädchen. Um Himmels willen, gib
mir
die Schuld, aber nicht unserer bedauernswerten Tochter. Hasse mich, wenn's sein muss, weil ich dich enttäuscht habe, weil ich dir untreu war – und zu schwach, um dir zu geben, was du willst. Aber bitte – bitte ...« Jetzt begann er zu weinen. Verzweifelt flehte er sie an, die bittere Wahrheit zu erkennen. »Gib ihr nicht die Schuld!«
»Begreifst du denn nicht, was sie an uns verbrochen hat? Ihretwegen ist unsere Ehe gescheitert, ihretwegen
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