Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home
kommen und danach »suchen« wollte. Wenn sie sich in dem kleinen Raum aufhielten, küssten sie sich, umarmten einander und sprachen im Flüsterton. In der Hitze eines Julinachmittags saßen sie am Boden und erzählten sich Geschichten aus ihrem Leben. Noch wusste der eine nicht alles vom anderen. Joe wünschte sich vorerst nur ein bisschen Zeit, in der sie wie normale Menschen miteinander reden oder Hand in Hand durch einen Park wandern konnten. Selbst wenn sie sich außerhalb der Klostermauern treffen würden, müssten sie vorsichtig sein. Gabriella dürfte nicht lange wegbleiben, sonst würden sich die Nonnen Sorgen machen. Also träumten sie erst einmal nur von kleinen Freuden, die für andere Liebespaare selbstverständlich waren. Aber sie mussten geduldig warten, bis sie dieses Glück genießen würden.
Endlich war es so weit – eine Woche nach Joes Geständnis. Ganz plötzlich und unerwartet bot sich eine Gelegenheit, als Schwester Immaculata den Schlüssel des alten Kombis in Gabriellas Hand drückte, den sie benutzten, um Waren aus einer Lagerhalle zu holen. Soeben war Stoff für neue Trachten geliefert worden, und die Näherinnen wollten zu arbeiten anfangen, solange sie nichts anderes zu tun hatten. Gabriella kannte das Lager in der Delancey Street, weil sie es schon mehrmals aufgesucht hatte. Da sie ohnehin in die Innenstadt fahren würde, erteilten ihr zwei andere Nonnen weitere Aufträge. Sie musste ziemlich viel erledigen. Aber wenn sie sich beeilte, würde sie ein bisschen Zeit für ein Rendezvous mit Joe finden.
Mit zitternden Händen nahm sie die Listen entgegen, die ihr die Schwestern übergaben, und hoffte inständig, niemand würde ihre Nervosität bemerken. Den Autoschlüssel und einen Umschlag mit Geld in den Händen, ging sie zur Straße hinaus. Der Kombi parkte direkt vor dem Eingang des Klosters. Bevor sie den Motor startete, winkte sie der Oberin zu, die lächelnd in der Tür stand. Es freute sie, Gabbie neuerdings so heiter zu sehen. So wie die anderen Nonnen glaubte sie, diese Lebenslust würde auf dem Postulat beruhen. Hoffentlich würde das Mädchen trotz der harten Gartenarbeit die Schriftstellerei nicht vernachlässigen. Mutter Gregoria nahm sich vor, ihren Schützling danach zu fragen.
Sobald der Kombi den Gehsteigrand verlassen hatte, trat Gabriella aufs Gaspedal. Zwei Häuserblocks weiter hielt sie vor einer Telefonzelle und wählte die Nummer der St. Stephen's School. Beim dritten Läuten meldete sich ein junger Mönch, und sie erklärte, Vater Connors' Termin beim Zahnarzt müsse abgesagt werden. Aufgeregt überlegte sie, ob er sich an diesem Morgen freinehmen konnte.
»Tut mir Leid, ich glaube, er ist nicht da«, antwortete der junge Mönch höflich, und Gabriella erschrak. »Warten Sie bitte, ich schaue vorsichtshalber mal nach ... Aber vor ein paar Minuten sah ich ihn weggehen.«
Während sie sich endlos lange geduldete, haderte sie mit dem Schicksal, das Joe ausgerechnet an diesem Morgen aus der Schule geführt hatte. Oder wollte der Allmächtige sie auf diese Weise an einer Sünde hindern? Sie hatten besprochen, was es bedeuten würde, wenn sie aus dem Kirchendienst austraten. Sollte sie sich schuldig fühlen? Dafür war sie viel zu glücklich. So sehnsüchtig hatten sie der Gelegenheit entgegengefiebert, ein bisschen mehr Zeit miteinander zu verbringen. Nun, letzten Endes würde vielleicht nichts dabei herauskommen, und sie würden beide auf die Stimme der Vernunft hören, ehe es zu spät wäre. Dann hätten sie wenigstens die Erinnerung an diese Liebe. Und darauf wollte Gabriella nicht verzichten. Später würde sie genug Zeit haben, um ihre Verfehlung zu büßen, ihr ganzes restliches Leben lang – das sie Gott weihen wollte, wenn es Ihm gefiel.
Atemlos kehrte der junge Mönch zum Telefon zurück. Beinahe wäre Gabriella in lauten Jubel ausgebrochen, als er erklärte, er habe Connors am Schultor eingeholt. »Wenn Sie warten möchten – er kommt an den Apparat.«
Und dann drang Joes Stimme aus dem Hörer. Auch er musste nach Luft ringen, nachdem er aus der Halle die Treppe heraufgestürmt war. »Wo bist du?«, fragte er und lachte leise. Weder er noch sie hatten geglaubt, dass dieser Glückstag jemals anbrechen würde.
»Zwei Häuserblocks vom St. Matthew's entfernt. Ich muss ein paar Besorgungen in der Innenstadt machen, und ich denke, niemand wird sich drum kümmern, wie lange ich wegbleibe.«
»Kann ich dich begleiten? Oder wäre es zu gefährlich? Wohin
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