Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home
fährst du?«
»In die Delancey Street – und danach zu ein paar Läden an der Lower East Side, die den Schwestern Rabatt geben.«
»Was hältst du vom Washington Square Park? Da kennt uns niemand. Oder treffen wir uns im Bryant Park hinter der Bibliothek ...« In dieser idyllischen Oase hatte er sich stets wohl gefühlt, trotz der vielen, die Bänke verunreinigenden Tauben und der Betrunkenen.
Schließlich verabredeten sie sich im Washington Square Park. Dort würde Gabriella in einer Stunde eintreffen; Vorher wollte sie den Stoff aus dem Lager holen. Wenn sie sich beeilte, konnte sie vielleicht auch noch alles andere erledigen.
»Um zehn warte ich auf dich«, versprach Joe. »Und, Gabbie – danke, dass du's geschafft hast, mein Schatz.« Noch nie in ihrem ganzen Leben war sie so genannt worden – noch nie hatte jemand so zärtlich mit ihr gesprochen. »Ich liebe dich.«
»O Joe, ich dich auch«, flüsterte sie, immer noch voller Angst, man könnte sie belauschen. Diese Gefahr bestand zwar momentan nicht, aber sie konnte es kaum glauben.
»Erledige deine Besorgungen. In einer Stunde sehen wir uns.«
Im Lagerhaus wurde sie nicht lange aufgehalten. Ein Angestellter half ihr, die schweren Stoffballen im Kombi zu verstauen. Für eine Tracht wurden etwa fünf Meter benötigt, und im St. Matthew's wohnten zweihundert Frauen. Diesmal würde Gabriella nur Stoff für ein paar Trachten ins Kloster transportieren. Die restlichen Aufträge führte sie im Rekordtempo aus. Fünf nach zehn fuhr sie die Sixth Avenue hinauf und bog in die Richtung des Parks ab. Bald kam der vertraute Torbogen in Sicht. Dieser Park erinnerte an Fotos von Paris, die sie einmal gesehen hatte.
Zu ihrer Freude wurde sie bereits von Joe erwartet. Sie fand einen Parkplatz und schloss den Wagen ab. Doch sie sperrte ihn noch einmal auf. Vorsichtig nahm sie die Nonnenhaube ab und legte sie auf den Vordersitz. Sie nahm sich nicht die Zeit, einen Blick in den Spiegel zu werfen, kämmte nur mit allen Fingern durch ihr Haar und drehte den Schlüssel wieder im Schloss herum. Trotz der schwarzen Kleidung hoffte sie, nicht aufzufallen. Glücklicherweise trug sie den kurzen Rock einer Postulantin. In der langen Tracht einer Novizin oder Nonne hätte sie gewiss Aufsehen erregt.
Voller Freude rannte sie über den Platz. Joe nahm sie wortlos in die Arme und küsste sie. Da er Jeans und ein kurzärmeliges schwarzes Hemd trug, sah man ihm nicht an, dass er ein Priester war.
»Ich bin so froh, dass es endlich geklappt hat«, strahlte er. Langsam wanderte er an Gabriellas Seite durch den Park. Zum ersten Mal trafen sie sich in einer farbenfrohen, belebten Welt außerhalb der Klostermauern. Kinder hüpften umher und schwenkten bunte Luftballons. Auf den Bänken saßen Liebespaare und hielten sich an den Händen, alte Männer spielten Schach, und ein Baldachin aus dicht belaubten Bäumen milderte das grelle Licht der Sommersonne. Joe ging zu einem Kiosk und kaufte Eiscreme. Dann setzten sie sich auf eine Bank. Noch nie hatte Gabriella ihn so glücklich gesehen. Während sie die Eiscreme aßen, tauschten sie immer wieder Küsse und schauten sich in die Augen. Dieses Erlebnis erschien ihnen wie ein Traum, der sich allerdings jederzeit in einen Albtraum verwandeln konnte. Aber daran wollten sie jetzt nicht denken. »Danke, dass du gekommen bist, Gabbie.«
Nur zu gut wusste er, welch große Schwierigkeiten es ihr bereitete, das Kloster zu verlassen. Nachdem sie so lange auf diese Stunde gewartet hatten, war sie doppelt kostbar, und sie vergeudeten keine einzige Sekunde. Angeregt sprachen sie über alles, was sie bewegte, konzentrierten sich auf die Gegenwart und verdrängten alle Gedanken an die fernere Zukunft. Joe wollte wissen, wann sie sich wieder treffen würden. Diese Frage konnte Gabriella nicht beantworten. Dass es ihr endlich gelungen war, kam ihr sowieso wie ein Wunder vor. Irgendwie musste sie versuchen, den Nonnen zu entrinnen. Verglichen mit diesem Rendezvous, waren die kurzen gestohlenen Momente im St. Matthew's bedeutungslos. Jetzt genossen sie in vollen Zügen das bisschen Freiheit, das ihnen vergönnt wurde.
»Natürlich will ich mein Bestes tun«, versicherte sie. »Ich glaube, Schwester Emanuel wird mir wieder solche Aufträge erteilen. Und wer sollte dagegen protestieren, solange ich meine Pflichten erfülle und nicht zu lange wegbleibe?« Ihr zuliebe verstießen die Nonnen immer wieder gegen gewisse Regeln, weil sie ihren unermüdlichen Eifer
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