Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home
erzählen. Alles andere war zu privat und betraf nur sie beide.
»Darf ich wissen, warum? Oder ist das eine alberne Frage, weil die Antwort auf der Hand liegt? Er ist ein attraktiver Mann, du bist eine schöne junge Frau. Noch hast du das endgültige Gelübde nicht abgelegt. Aber du hast beteuert, du seist deiner Sache sicher. Und ich glaubte dir. Jetzt beginne ich an dir zu zweifeln. Connors jedoch übt schon seit mehreren Jahren das Priesteramt aus. Deshalb solltet ihr Rücksicht auf seine Pflichten nehmen.«
»Das verstehe ich.« In Gabriellas Augen brannten Tränen, die sie entschlossen unterdrückte. Sie würde nicht um Gnade flehen.
»Steckt noch mehr hinter dieser hässlichen Geschichte, Gabbie? Wenn ja, musst du mich informieren.« O nein, es ist keine hässliche Geschichte, protestierte Gabriella in Gedanken. Diese Worte brachen ihr fast das Herz. Schweigend schüttelte sie den Kopf. Sie wollte keine Lügen mehr aussprechen. »Vielleicht wird's dich nicht überraschen, dass man in der St. Stephen's School eine Untersuchung durchführen wird. Der Monsignore will den Erzbischof noch heute anrufen. Selbstverständlich wird Vater Connors vorerst nicht in unser Kloster kommen.« Die Oberin unterbrach sich, um Atem zu schöpfen. Prüfend schaute sie in Gabbies Augen, suchte die Antworten, die ihr vorenthalten wurden. »Du solltest dein Gewissen und deine Berufung gründlich erforschen. Deshalb schicke ich dich nach Oklahoma, in unser Schwesternkloster. Dort wirst du Zeit und Ruhe finden, um über alles nachzudenken.«
Das klang wie eine Todesstrafe. »In Oklahoma?«, würgte Gabriella hervor. »Nein, ich gehe nicht weg von hier.« Zum ersten Mal seit dem Streit um ihr Studium widersetzte sie sich der Oberin. Aber Mutter Gregorias Entschluss stand fest. Hinter der Fassade ihrer Gelassenheit war sie wütend – auf Gabriella und den Priester, der sie in Versuchung geführt hatte. In den Augen der alten Nonne war das eine unverzeihliche Sünde. Sie würde lange beten müssen, um den beiden zu vergeben. Mit welchem Recht tat Vater Connors ihr so etwas an? Er hatte im St. Matthew's eine Vertrauensstellung eingenommen. Wie konnte er es wagen, sich an ein unschuldiges junges Mädchen heranzumachen?
»Du hast keine Wahl, Gabriella. Morgen reist du ab. Bis dahin wirst du streng bewacht. Also versuch erst gar nicht, Vater Connors anzurufen. Falls du bei uns bleiben möchtest – und die Entscheidung liegt immer noch bei dir –, denk über dein Verhalten nach und frag dich, ob du dich tatsächlich zur Nonne eignest. Ich schlug dir vor, für einige Zeit in die Außenwelt zurückzukehren. Das hast du abgelehnt. Übrigens, mein Angebot bezog sich keineswegs auf heimliche Zusammenkünfte mit einem Priester.«
»Wir waren nur ein Mal im Park.« In ihrer Verzweiflung log Gabriella erneut, weil sie Joe schützen wollte.
»Wenn ich dir bloß glauben könnte ...« Die Oberin stand auf, um die Diskussion zu beenden. »Geh jetzt in dein Zimmer. Vor deiner Abreise wirst du nicht mehr mit den anderen Postulantinnen sprechen. Eine Schwester wird dir ein Tablett mit deinem Abendessen bringen. Auch mit ihr darfst du nicht reden.«
Plötzlich wurde Gabriella wie eine Aussätzige behandelt. Wortlos verließ sie das Büro, stieg die Treppe hinauf und überlegte, ob es irgendwie möglich wäre, Joe telefonisch zu erreichen. Nein, sicher nicht ... Eins stand jedenfalls fest: Sie würde nicht nach Oklahoma fahren, sondern in seiner Nähe bleiben. Während der nächsten Stunden lag sie abwechselnd auf dem Bett, schrieb in ihr Tagebuch oder wanderte rastlos in ihrem Zimmer umher. Was geschah mit Joe? Wie würde er sich vor dem Erzbischof rechtfertigen? Es war so furchtbar schwierig ... Doch das hatten sie von Anfang an gewusst. Jetzt mussten sie den Kummer und die Demütigungen ertragen, bis sie wieder zusammen sein konnten.
Sie rührte das Abendessen, das ihr eine schweigende Nonne servierte, nicht an. Etwas später spürte sie einen eigenartigen Schmerz in ihrem Bauch, der ihr sekundenlang den Atem nahm und dann nachließ, um sie bald erneut zu quälen. Was das bedeutete, wusste sie nicht. In ihrer Sorge um Joe dachte sie auch nicht weiter darüber nach. Als die beiden anderen Postulantinnen das Zimmer betraten, lag sie im Bett und krümmte sich vor Schmerzen. Aber sie sagte nichts, und die Mädchen ignorierten sie. Beim Dinner hatte man ihnen erklärt, Schwester Bernadette sei in Schwierigkeiten, und sie dürften nicht mit ihr reden.
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