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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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Jahrtausendwende dauern.
     
     
    Es war niemals leicht, sich aus dem Gefängnis heraus auf einen Prozeß vorzubereiten, und in diesem Fall wurden wir durch die üblichen Apartheidsschranken noch behindert. Für alle Angeklagten war es unerläßlich, sich miteinander austauschen zu können, doch die Gefängnisvorschriften verboten Zusammenkünfte zwischen männlichen und weiblichen Häftlingen und zwischen schwarzen und weißen, so daß es uns nicht gestattet war, uns mit Helen Joseph, Leon Lewy, Lilian Ngoyi und Bertha Mashaba zu beraten.
    Helen, als erste Zeugin, die aufgerufen werden sollte, mußte ihre Aussagen in Anwesenheit von Duma, mir und Farid Adams vorbereiten, der sie befragen würde. Nach längeren Verhandlungen mit der Gefängnisbehörde gestattete man uns Konsultationen, allerdings unter sehr strikten Auflagen. Helen Joseph, Lilian Leon und Bertha wurden aus ihren verschiedenen Gefängnissen und Abteilungen (getrennt nach Rasse und Geschlecht) zum Gefängnis für afrikanische Männer gebracht. Erste Bedingung war, es durfte keinen physischen Kontakt zwischen männlichen und weiblichen Häftlingen geben. Die Behörde ließ ein Eisengitter aufrichten, um Helen und Leon (als Weiße) von uns zu trennen, und ein zweites Gitter, um sie von Lilian und Bertha (als Afrikanerinnen) zu trennen, die gleichfalls an den Vorbereitungen teilnahm. Helen mußte von Lilian wegen der Hautfarbe getrennt werden, und von uns wegen des Geschlechts und der Hautfarbe. Selbst ein Meisterarchitekt hätte Mühe gehabt, ein solches Gebilde zu konstruieren. Im Gefängnis wurden wir durch diese komplizierten Metallkonstruktionen voneinander getrennt, während wir uns auf dem Hof frei bewegen konnten.
    Zunächst mußten wir Farid in der Kunst der Etikette im Gerichtssaal unterweisen und Helens Zeugenaussage proben. Um Helen zu helfen, spielte ich die Rolle, die Farid im Gericht spielen würde. Ich nahm die angemessene Gerichtssaalpose ein und begann mit der Befragung.
    »Name?« sagte ich.
    »Helen Joseph«, erwiderte sie.
    »Alter?«
    Schweigen. »Alter?« wiederholte ich.
    Helen schürzte die Lippen und wartete. Dann, nach einigen Sekunden, musterte sie mich finster und sagte scharf: »Was hat mein Alter mit diesem Fall zu tun, Nelson?«
    Helen war ebenso charmant wie mutig, aber sie hatte manchmal auch etwas Herrisches an sich. Sie war, wie man so sagt, eine Frau im gewissen Alter und in diesem Punkt sehr empfindlich. Ich erklärte, daß es üblich sei, den Zeugen nach bestimmten Personalien zu befragen wie etwa Name, Alter, Anschrift und Geburtsort. Das Alter eines Zeugen oder einer Zeugin helfe dem Gericht bei der Abwägung der Zeugenaussage und könne ein Urteil beeinflussen.
    Ich fuhr fort: »Alter?«
    Helen saß stocksteif. »Nelson«, sagte sie, »die Brücke werde ich überqueren, wenn ich im Gericht vor ihr stehe, aber nicht vorher. Laß uns fortfahren.«
    Ich stellte ihr dann eine Reihe von Fragen, die sie von seiten der Krone erwarten konnte, doch tat ich dies vielleicht auf eine etwas zu realistische Weise, denn Helen wandte sich mir plötzlich voll zu und sagte: »Bist du Mandela, oder bist du der Ankläger?«
    Es gab andere unbeschwerte Augenblicke, und manche davon waren recht ermutigend.
    Ich durfte Helen Joseph an Wochenenden besuchen und ihr Prozeßunterlagen mitbringen. Bei solchen Gelegenheiten traf ich auch andere weibliche Häftlinge und unterhielt mich mit ihnen als möglichen Zeuginnen. Ich war immer sehr höflich zu den weißen Wärterinnen, und ich bemerkte, daß meine Besuche einiges Interesse hervorriefen. Die Wärterinnen hatten überhaupt nicht gewußt, daß es solch eine Spezies wie einen afrikanischen Rechtsanwalt oder Arzt gab, und sie betrachteten mich als exotisches Wesen. Als ich ihnen vertrauter wurde, zeigten sie sich freundlicher und unbefangener, und ich scherzte mit ihnen, daß ich mich ihrer rechtlichen Probleme annehmen würde. Daß bekannte und gebildete weiße Frauen auf der Grundlage völliger Gleichberechtigung mit einem Schwarzen gewichtige Dinge besprachen, konnte nur zum Abbau von Apartheidsvorurteilen bei den Wärterinnen führen.
    Einmal, während eines langen Gesprächs mit Helen, wandte ich mich an die Wärterin, deren Aufgabe es war, unserer Besprechung beizuwohnen: »Tut mir leid, Sie mit dieser endlosen Konsultation zu langweilen.«
    »Nein«, sagte sie, »Sie langweilen mich überhaupt nicht, ich genieße es.« Ich konnte sehen, daß sie unser Gespräch verfolgte, und ein-

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