Der lange Weg zur Freiheit
kaufen. Ich hätte aus dem Auto springen können, zumal freitags, wenn auf Straßen und Bürgersteigen reges Treiben herrschte und man sich einfach unter die Menschen mischen konnte.
Während der Zeit im Büro konnte ich die Treppe hinabsteigen ins Cafe im Erdgeschoß, um Kleinigkeiten zu kaufen, und ein- oder zweimal schaute er weg, als Winnie mich besuchen kam. Wir hatten eine Art Vereinbarung unter Gentlemen: Ich würde keinen Fluchtversuch unternehmen und ihn dadurch in Schwierigkeiten bringen, und er erlaubte mir ein gewisses Maß an Freiheit.
Am 26. April, einen Tag vor Wiederaufnahme des Prozesses, rief uns Issy Maisels zusammen, um mit uns über die schwerwiegenden Auswirkungen des Notstands auf die Prozeßführung zu sprechen. Wegen der Notstandsbestimmungen waren Konsultationen zwischen Angeklagten und Anwälten praktisch unmöglich geworden. Unsere Anwälte, die in Johannesburg lebten, hatten Schwierigkeiten, uns im Gefängnis zu besuchen, und konnten sich auf unseren Prozeß nicht vorbereiten. Oft kamen sie im Auto, nur um zu erfahren, daß wir nicht verfügbar seien. Und selbst wenn wir sie sprechen konnten, fanden die Beratungen unter schwierigen Bedingungen und unter großem Zeitdruck statt. Wichtiger noch, Maisels erklärte uns, unter den Notstandsbestimmungen würden sich bereits in Haft befindliche Leute weiterer Haft aussetzen, indem sie als Zeugen aussagten, denn unvermeidlich würden sie dabei Erklärungen abgeben, die als »subversiv« galten, so daß sie mit schweren Strafen rechnen mußten. Zeugen der Verteidigung, die nicht inhaftiert waren, riskierten ihre Inhaftierung, falls sie aussagten.
Das Verteidigerteam schlug vor, sich aus Protest von dem Fall zurückzuziehen. Maisels erläuterte die ernsten Implikationen einer solchen Aktion und die Konsequenzen, die sich daraus ergäben, falls wir uns unter der Anklage eines Kapitalverbrechens selbst verteidigten. Bei der feindseligen Atmosphäre könnten die Richter geneigt sein, uns zu längeren Gefängnisstrafen zu verurteilen. Wir besprachen den Vorschlag unter uns, und jeder der 29 Angeklagten – Wilton Mkwayi war nicht mehr unter uns – konnte seine Meinung äußern. Der Beschluß wurde einstimmig gebilligt, und wir kamen überein, daß bei Abwesenheit unserer Anwälte Duma Nokwe und ich uns mit den Vorbereitungen für den Fall befassen würden. Ich befürwortete diese dramatische Geste, weil sie schlagartig die Ungerechtigkeiten des Notstands erhellte.
Am 26. April erhob sich Duma Nokwe, der erste afrikanische Anwalt in Transvaal, im Gerichtssaal und gab die sensationelle Erklärung ab, daß die Angeklagten ihre Verteidiger angewiesen hätten, den Fall niederzulegen. Sodann erklärte Maisels schlicht: »Wir haben kein Mandat mehr und werden folglich Eure Lordschaften nicht länger belästigen«, wonach das Verteidigerteam schweigend die Synagoge verließ. Dieser Vorgang schockierte die drei Richter, die uns mit düstersten Worten vor den Gefahren warnten, unsere Verteidigung selbst zu führen. Doch wir waren wütend und brannten darauf, mit dem Staat die Klingen zu kreuzen. Fünf Monate lang, praktisch bis zum Ende des Notstands, verteidigten wir uns selbst.
Unsere Strategie war einfach und ihrem Wesen nach defensiv: den Prozeß zu verschleppen, bis der Notstand aufgehoben wäre und unsere Anwälte zurückkehren konnten. Der Prozeß dauerte schon so lange, daß es keine Rolle zu spielen schien, wenn wir ihn noch weiter verzögerten. In der Praxis nahm sich diese Strategie ziemlich komisch aus. Jeder von uns hatte jetzt das Recht, seine Verteidigung selbst zu führen und jeden der anderen Angeklagten als Zeugen aufzurufen, und jeder der Angeklagten war berechtigt, jeden Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen. Wir saßen in alphabetischer Ordnung gemäß offizieller Liste, und der Angeklagte Nummer eins war Farid Adams vom Transvaal Indian Youth Congress. Farid pflegte seinen Fall damit zu beginnen, daß er die Angeklagte Nummer zwei, Helen Joseph, als seine erste Zeugin aufrief. Nach der Befragung durch Farid wurde Helen dann von den 27 anderen Mitangeklagten ins Kreuzverhör genommen. Danach war die Krone mit dem Kreuzverhör an der Reihe, gefolgt von der erneuten Vernehmung durch den Angeklagten Nummer eins. Sodann rief Adams den Angeklagten Nummer drei als Zeugen auf, und so weiter, und die gesamte Prozedur vervielfachte sich, bis jeder Angeklagte in dieser Weise aufgerufen wurde. Bei diesem Tempo würde der Prozeß mindestens bis zur
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