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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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ihrer Vorstellung mußten Menschen mit einer solchen Verantwortung »gebildet« sein. Es ist schwer, einer engstirnigen Person zu erklären, daß »gebildet« keineswegs nur bedeutet, lesen und schreiben zu können und einen B. A. zu haben, und daß ein Analphabet ein weitaus »gebildeterer« Wähler sein kann als einer mit akademischem Grad.
    Richter Rumpff: Welchen Wert hat die Teilnahme an der Regierung eines Staates durch Menschen, die nichts wissen?
    Nelson Mandela: My Lord, was geschieht, wenn weiße Analphabeten abstimmen?
    RR: Unterliegen sie nicht wie Kinder dem Einfluß von Führern?
    NM: Nein, my Lord, folgendes geschieht in der Praxis: Ein Mann steht auf, um sich in einem bestimmten Gebiet um einen Sitz zu bewerben. Er stellt ein Programm auf, und er sagt: »Dies sind die Ideen, für die ich stehe.« Es ist ein ländliches Gebiet, und er sagt: »Ich bin gegen die zahlenmäßige Begrenzung von Rindern.« Man hört sich seine Programmpunkte an und überlegt, ob dieser Mann die eigenen Interessen fördert, wenn man ihn ins Parlament schickt. Auf dieser Grundlage stimmt man für einen Kandidaten. Mit Bildung hat das nichts zu tun.
    RR: Er kümmert sich nur um seine eigenen Interessen?
    NM: Nein, ein Mann sieht sich nach einem Mann um, der am besten imstande sein wird, seinen Standpunkt zu vertreten, und er wird für diesen Mann stimmen.
     
     
    Ich erklärte dem Gericht, wir seien überzeugt, unsere Forderungen ohne Gewalt durchsetzen zu können, einfach aufgrund unserer zahlenmäßigen Überlegenheit.
    »Wir glaubten, daß wir in absehbarer Zukunft unsere Ziele erreichen können. Dabei arbeiteten wir unter der Annahme, daß die Weißen trotz der Mauer aus Vorurteil und Feindseligkeit, mit der sie uns begegnen, nicht für alle Zeit unseren Forderungen gegenüber gleichgültig bleiben können, denn unsere Politik des ökonomischen Drucks trifft sie genau in den Magen. Die Weißen könnten es sich nicht leisten, gleichgültig zu bleiben. Sie werden darauf reagieren müssen, und, my Lord, sie reagieren darauf.«
    Der Ausnahmezustand wurde am letzten Augusttag aufgehoben. Zum erstenmal seit fünf Monaten würden wir nach Hause fahren. Als man in Johannesburg vom Ende des Ausnahmezustands hörte, fuhren viele nach Pretoria in der Hoffnung, daß man uns entlassen würde; als man uns tatsächlich freiließ, wurden wir von Freunden und Familien jubelnd empfangen. Winnie war mit irgend jemandem mit nach Pretoria gefahren, und unser Wiedersehen war voller Freude. Fünf Monate lang hatte ich meine Frau nicht in den Armen gehalten oder sie glücklich lächeln sehen. Zum erstenmal seit fünf Monaten schlief ich in dieser Nacht in meinem eigenen Bett.
    Wenn man im Gefängnis gewesen ist, sind es die kleinen Dinge, die man besonders schätzt: irgendwo hingehen zu können, wann immer man will; einen Laden zu betreten und eine Zeitung zu kaufen; zu sprechen oder auch, wenn man will, zu schweigen. Die simple Tatsache, über seine eigene Person bestimmen zu können.
    Selbst nach dem Ende des Ausnahmezustands wurde der Prozeß für weitere neun Monate fortgesetzt bis zum 29. März 1961. In vielerlei Hinsicht waren dies für die Angeklagten glorreiche Tage, denn unsere Leute verkündeten im Zeugenstand furchtlos die Politik des ANC. Robert Resha kritisierte vehement die absurde Behauptung der Regierung, der ANC wolle die Regierung zur Gewaltanwendung zwingen, damit wir unsererseits Gewalt einsetzen könnten. Gert Sibande schilderte dem Gericht beredt das Elend afrikanischer Farmarbeiter. Der ehrenwerte Isaac Behndy von Ladysmith, 81 Jahre alt, ein Laienprediger der African Native Mission Church, legte dar, warum wir statt für Streiks für Stay-at-Home-Aktionen votierten.
    Im Oktober wurde, als unser letzter Zeuge, der ehrfurchtgebietende Professor Matthews aufgerufen. Im Zeugenstand wirkte er unerschütterlich und behandelte die Anklagevertreter wie unwissende Studenten, die strenger Ermahnung bedurften. Oft antwortete er dem überforderten Ankläger etwa mit folgender Bemerkung: »Was Sie von mir wirklich hören wollen, ist doch, daß die von Ihnen als gewalttätig bezeichnete Rede die Politik meiner Organisation repräsentiert. Erstens ist Ihre Behauptung inkorrekt, und zweitens werde ich das nicht sagen.«
    In gepflegter Sprache erläuterte er, daß die Afrikaner wußten, ein gewaltloser Kampf würde Leiden zur Folge haben, sie sich jedoch dafür entschieden hätten, weil sie die Freiheit über alles andere schätzten. Das

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