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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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einem Urteil gelangt seien. Jetzt herrschte Stille. In seiner tiefen, ruhigen Stimme trug Richter Rumpff die Schlußfolgerungen des Gerichts vor. Ja, der African National Congress habe darauf hingearbeitet, die Regierung durch eine »radikal und fundamental andere Staatsform zu ersetzen«; ja, der African National Congress habe während der Mißachtungskampagne illegale Protestmethoden eingesetzt; ja, gewisse ANC-Führer hätten Reden gehalten, in denen sie sich für Gewalttätigkeit aussprachen; und ja, es gebe im ANC eine starke Linkstendenz, erkennbar an seinen anti-imperialistischen, anti-westlichen, pro-sowjetischen Einstellungen, jedoch…
     
    »All das diesem Gericht vorgelegte Beweismaterial und unsere eigene Faktensammlung vermögen das Gericht nicht zu dem Schluß zu veranlassen, daß sich der African National Congress eine Politik zu eigen gemacht oder angenommen hatte mit dem Ziel, den Staat durch Gewalt zu stürzen, das heißt in dem Sinne, daß die Massen darauf vorbereitet oder konditioniert werden sollten, gegen den Staat direkte Gewaltakte zu verüben.«
     
    Das Gericht erklärte, es sei der Anklagevertretung nicht gelungen zu beweisen, daß der ANC eine kommunistische Organisation sei oder daß die Freiheits-Charta einen kommunistischen Staat zum Ziel habe. Nach vierzig Minuten verkündete Richter Rumpff: »Folglich sind die Angeklagten als nichtschuldig befunden worden und sind freizulassen.«
    Auf der Zuschauergalerie brach Jubel aus. Stehend umarmten wir uns und winkten in den glücklich lärmenden Gerichtssaal. Dann marschierten wir alle hinaus in den Gerichtshof, lächelnd, lachend, weinend. Die Menschenmenge schrie und sang, als wir auftauchten. Einige von uns hoben unsere Verteidiger auf die Schultern, keine leichte Aufgabe im Fall von Issy Maisels, einem besonders großen Mann. Rings um uns herrschte ein Gewitter von Blitzlichtern. Wir sahen uns nach Freunden, Frauen, Verwandten um. Winnie war herbeigeeilt, und ich umarmte sie voll Freude, obwohl mir klar war, mochte ich im Augenblick auch frei sein, genießen würde ich diese Freiheit nicht können. Als wir alle draußen waren, sangen die Freigesprochenen und die Menge gemeinsam »Nkosi Sikelel’ iAfrika«.
    Nach über vier Jahren vor Gericht, nach Dutzenden von Anklagevertretern, Tausenden von Dokumenten und Zehntausenden von Seiten voller Zeugenaussagen hatte der Staat eine Niederlage erlitten. Das Urteil war für die Regierung eine Peinlichkeit, sowohl im In- wie im Ausland. Dennoch bestärkte das Resultat den Staat nur in seiner Härte gegen uns. Die Lehre, die er aus allem zog, war nicht etwa, daß unsere Klagen begründet waren, sondern daß er noch rücksichtsloser vorgehen müsse.
     
     
    Ich betrachtete das Urteil nicht als Rechtfertigung des Rechtssystems oder als Beweis dafür, daß ein schwarzer Mann im Gericht des weißen Mannes einen fairen Prozeß bekommen konnte. Es war ein richtiges Urteil, ein gerechtes dazu, doch das war weitgehend den hervorragenden Verteidigern zuzuschreiben und der fairen Haltung dieses Richtergremiums.
    Das Gericht war in Südafrika vielleicht der einzige Ort, wo ein Afrikaner mit einer fairen Anhörung rechnen konnte und wo das Gesetz womöglich noch gültig war. Dies galt besonders für Gerichte mit aufgeklärten Richtern, die von der United Party bestimmt worden waren. Viele dieser Männer hielten sich noch an das Gesetz.
    Als Student war ich belehrt worden, daß Südafrika ein Land sei, in dem das Gesetz an höchster Stelle stand und für alle Personen galt, unabhängig von ihrem sozialen Status oder ihrer offiziellen Position. Ich glaubte aufrichtig daran, und ich wollte mein Leben auf diese Annahme gründen. Doch mein Beruf als Anwalt und meine Tätigkeit als Aktivist ließ es wie Schuppen von meinen Augen fallen. Ich erkannte, daß es einen Riesenunterschied gab zwischen dem, was ich im Hörsaal erfahren hatte, und dem, was ich im Gerichtssaal erlebte. Meine idealistische Vorstellung vom Gesetz als Schwert der Gerechtigkeit wich der Wahrnehmung, daß das Gesetz ein Werkzeug war, das die herrschende Klasse benutzte, um die Gesellschaft nach ihren Wünschen zu gestalten. Ich habe im Gericht niemals Gerechtigkeit erwartet, so sehr ich auch dafür kämpfte und obwohl sie mir manchmal zuteil wurde.
    Im Fall des Hochverratsprozesses erhoben sich die drei Richter über ihre Vorurteile, ihre Erziehung und ihren Lebenshintergrund. Im Menschen ist eine Neigung zur Güte, die vergraben oder verborgen

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